Aumüllers Brotfabrik in der Kistlerhofstraße
Das Gebiet, das sich in Mittersendling zwischen der Aidenbach-, Kistlerhof- und Hofmannstraße erstreckt, befand sich seit den frühen 1960er Jahren bis zum Beginn der 2000er Jahre fest in den Händen der Siemens AG.
In welchen Bereichen hat Siemens nichts entwickelt und produziert? Ob Telefonanlagen, Halbleiter und Festplatten für PCs und Server, Fernseher, Radios oder Haushalts- und Küchengeräte - der Name war allgegenwärtig und stand für Qualität made in Germany. Ich selbst besitze noch heute ein CD-Player-Radio-Kassetten-Kombigerät - kurz zusammengefasst einen Ghettoblaster -, der inzwischen über dreißig Jahre auf dem Buckel hat, aber nach wie vor funktioniert.
Nicht nur, dass in der Hofmannstraße und drumherum Fertigungs- und Verwaltungsgebäude lagen; für die Mitarbeiter gab es Wohnungen, ja ganze Wohnanlagen, Squashhallen, Sport- und Tennisplätze, Läden für den Haushaltsbedarf etc. .
Von etwa 1960 bis Mitte der 1990er Jahre konnte man mit Fug und Recht sagen, dass eine Festanstellung bei Siemens gleichbedeutend mit einem Sechser im Lotto und gar nicht so einfach zu bekommen war, wenn man weder Zugang noch Beziehungen zu diesem ganz speziellen Netzwerk von Mitarbeitern und Angehörigen hatte...
Bis die Siemens AG sich kurz vor der Jahrtausendwende auf Kooperationen und Zusammenschlüsse mit internationalen Konzernen und Investoren einließ. Es dauerte nicht einmal ein Jahrzehnt, bis das Gesamtunternehmen in seine einzelnen Sparten zergliedert wurde. Und dann wurde eine Sparte nach der anderen auf Neudeutsch "outgesourced" und erlosch, so wie es etwa um zehn Jahre zeitversetzt mit dem Galeria-Kaufhof-Konzern begann und geschah.
Heute gibt es im Gebiet der einstigen Siemenswerke alles Mögliche, Zentralen von Krankenkassen und Versicherungen, Fitness-Studios, Bau- und Supermärkte und viele andere Unternehmen, nur der Name Siemens steht an keinem Gebäude mehr geschrieben. Der Fabrik- und Industriecharakter blieb nach wie vor bestehen, nur die Namen der Unternehmen und Betreiber haben sich seit Beginn der 2000er Jahre geändert.
Hätte ich nicht Anfang 2020 an einem Seminar der Agentur für Arbeit teilgenommen, das bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie Ende Februar noch als Präsenzunterricht stattfand, hätte ich diese Gegend wohl nie kennengelernt, denn ich habe zwar jahrzehntelang für die Industrie gearbeitet, muss dort aber nicht auch noch meine spärliche Freizeit verbringen.
Solange die Präsenzphase noch andauerte, bis sie aufgelöst und durch Home Office-Unterricht am heimischen PC ersetzt wurde, kam ich immer vom Busbahnhof an der Aidenbachstraße mit dem 53er Bus durch die Kistlerhofstraße, wo mir ein der Fläche nach recht großer, aber nicht über anderthalb Stockwerke hoher Backsteinbau mit einem kleinen Schornstein und einer großen Glasfront auffiel, an dem in goldgelben Lettern Aumüllers Brotfabrik gechrieben steht.
So wie es aussah, konnte man hier nicht nur seinen Bedarf für die Frühstückspause und/oder den Nachmittagskaffee decken, sondern auch essen; doch während meines Seminars nahm ich mir nie die Zeit, dort einmal vorbei zu schauen....bis zum Frühjahr dieses Jahres, als ich ein paar Tage frei hatte und mir schwor, mir diese Brotfabrik einmal genauer anzusehen.
Die dunkelroten Backsteinwände, der Betonboden und die rau gemauerte aufgebrochene Decke lassen keinen Zweifel daran, dass man sich in einem echten Fertigungswerk befindet. Zugleich hat der Gästebereich mit seinen einfach aber gediegen gestalteten Sitzgruppen aus Holz und Leder, seinem gemauerten Kamin an der Stirnseite und seinen Holzklötzen, die an der Längsseite gut mannshoch aufeinandergestapelt sind, etwas Uriges und Vertrauenerweckendes.
Und dann ist da die Ausgabetheke, die sich von der Eingangstür bis ans Ende der Fabrikhalle erstreckt, mit Brot, Brötchen und Plunder im Eingangsbereich, Kuchen und Torten in der Mitte und belegten Broten, Frühstücksvariationen und warmen Gerichten zur Mittagszeit am Ende.
Sicher beschreibe ich hier die gängige Auslage einer Bäckerei oder Konditorei. Doch hier kommen alle Backwaren direkt aus den riesigen Backöfen, die sich im Hintergrund der Theke aneinanderreihen, und man befindet sich in der Zentralbäckerei, was bedeutet, dass die Ware, die man hier bekommt, garantiert frisch über die Theke wandert.
Einmal davon abgesehen, dass einen an der Theke mit ihren gigantischen Dimensionen eine Vielfalt an Backwaren angrinst, mit so viel Liebe zum Detail und zur Individualität gestaltet, die einem schier die Augen übergehen lässt.
Was man hier zu sehen bekommt, bietet kaum eine andere Bäckerei oder Konditorei!