Leonardo - Der dem Menschen Wohlgesonnene
Natürlich wäre ein Streifzug durch die Meisterwerke der italienischen Renaissance nicht komplett ohne den einen, der nicht nur Raffael, Sebastiano und Michelangelo den Weg bereitet, sondern die Mannigfaltigkeit des menschlichen Schöpfergeistes verkörpert hat wie kaum ein anderer: Leonardo da Vinci.
Und das, obwohl er gar nicht so viel malte, sondern sowohl die Tier- und Pflanzenwelt als auch die Proportionen und die Anatomie des Menschen und nicht zuletzt die Gesetze der Mechanik studierte. Studien, deren Ergebnisse er in seiner legendären Proportionsstudie nach Vitruv, seinen Aufzeichnungen über die Entwicklung des menschlichen Fötus in der Gebärmutter und seinen Skizzen zu Artilleriegeschützen und Flugapparaten verewigt hat.
Einräumen muss ich an dieser Stelle, dass Leonardo aus meiner Sicht Farben längst nicht so zum Strahlen und Leuchten bringt wie Raffael, nicht so subtil und eindrucksvoll mit Licht und Schatten spielt wie Sebastiano und nicht solch gewaltige Szenen erschafft wie Michelangelo.
Aber dafür ist Leonardo fähig, Gesichter zum Leben zu erwecken und allein mit der Mimik, Gestik und Haltung seiner Gestalten Geschichten zu erzählen wie kaum ein anderer seiner Kollegen, die zeitlich nach ihm kamen.
Anders als Raffael, Sebastiano und Michaelangelo hatte Leonardo mit Rom, dem Papst und der Kurie wenig zu tun; er lebte und wirkte hauptsächlich in Florenz und Mailand, bis ihn Franz I. von Frankreich nach Schloss Chambord an der Loire berief, dessen Architektur er maßgeblich mitgestaltet hat; und auf Schloss Amboise, seinem letzten Wohnsitz, ist er unter dem Schutz seines letzten Mäzens friedlich und hochgeachtet gestorben.
In den Jahren seines Wirkens in Florenz und Mailand hat er sich vorwiegend der Damenwelt gewidmet. Vom Blick und von den Zügen der Frauen, die er porträtiert hat, geht ein Selbstbewusstsein und eine geistige Wachheit und Reife aus, die seine Kollegen entweder nicht wahrgenommen haben oder nicht darstellen wollten, weshalb auch immer.
Im Rahmen dieser Ausstellung erwartete mich eine Überraschung, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts wusste.
Wohl die ganze Welt kennt die Mona Lisa, die im Louvre hängt und um die sich tagein, tagaus ganze Massen an Touristen scharen. Zwar ist es das erste, quasi das Originalbild, das von der Mona Lisa entstand; doch es ist nicht das einzige!
In Wahrheit war Leonardo weder mit seiner Gesamtkomposition noch mit den Zügen und der Miene der von ihm porträtierten Dame zufrieden, so dass er sie noch einmal verewigte, mit weicheren, zarteren Zügen als in seiner Erstfassung, aber mit einer deutlich reduzierten Farbpalette im Hintergrund. Diese Version der Mona Lisa hängt in der Galerie von Islewood in Großbritannien.
Doch - es war schier zum Verzweifeln - Leonardo war mit dem Resultat seiner Bemühungen immer noch nicht zufrieden. Also ging er ein drittes Mal an dasselbe Porträt, stattete den Hintergrund mit mehr Farben und Licht aus, hüllte seine Dame in ein helleres, leichteres Gewand und verlieh ihren Zügen mehr Lebendigkeit und Heiterkeit als bei seinen Vorgängerversionen.
Und die dritte Mona Lisa, die heute im Prado von Madrid hängt, betrachtete er selbst als als die gelungene, so, wie er sie letzten Endes haben wollte.
Somit können sich drei Galerien rühmen, die Mona Lisa zu beherbergen; aber jede hat eine andere...
Natürlich darf in dieser Ausstellung das Letzte Abendmahl nicht fehlen, jenes auf eine Leinwand gebannte, aus einem einzigen Akt bestehende Drama, das seit seiner Entstehung für einen ganzen Reigen abenteuerlicher Legenden und Spekulationen gesorgt hat.
Ob der deutlich sichtbare Abstand zwischen Jesus und Johannes wirklich einen Querverweis auf die wahre Bedeutung des Heiligen Grals darstellt, und ob es in Wahrheit nicht Johannes, sondern Maria Magdalena ist, die Jesus am nächsten sitzt - jene These, die Dan Brown in Sakrileg aufgestellt hat -, sei dahingestellt; auf jeden Fall ist das Letzte Abendmahl ein Werk, dessen Dramatik und Ausdruckskraft nicht seinesgleichen hat.
Auch im Saal auf der zweiten Etage, der Leonardos Schaffen gewidmet ist, sind mir zwei Werke besonders aufgefallen:
Auf einem Ölgemälde stellt Leonardo anders als die meisten seiner Zeitgenossen Jesus nicht als Baby auf dem Arm seiner Mutter Maria oder als Schmerzensmann am Kreuz dar, sondern als Salvator Mundi, den Retter und Erlöser der Welt. Mit gelöster, beinahe heiterer Miene hält Jesus die Welt, die sich in seinem Gewand und seiner Gestalt spiegelt, leicht und mühelos in der Hand als Zeichen, dass er sowohl die Welt überwunden hat als auch die Welt in all ihren Erscheinungen und Gestalten verkörpert.
Und es gibt von ihm einen Christuskopf als gezeichnete Skizze, in der das Angesicht Jesu eine Reinheit, Güte und Liebe ausstrahlt, die man in anderen Gemälden dieser Art selten findet; so als habe Leonardo nach so vielen Schreckensbildern von der Marter Jesu am Kreuz und bedrohlichen bis furchteinflößenden Visionen vom Jüngsten Gericht ausnahmsweise einmal der Liebe, Güte und Vergebung Raum geben wollen.
Vielleicht war Leonardo in dieser Hinsicht von allen Malern der Renaissance den Menschen am freundlichsten und wohlwollendsten gesonnen...