Flamenco für alle und niemanden / Jazz und Swing im Literaturhaus am Salvatorplatz
Während sich vor und an den ausgewiesenen Spielorten das Volk zusammendrängt, halten sich auf den "Rennsteigen" und den Plätzen dazwischen auch Straßenmusikanten auf, welche die Lange Nacht der Musik mitfeiern, indem sie ihr eigenes, inoffizielles kleines Programm spielen.
Doch wie seltsam: Obwohl jene, die in einer Nische oder Arkade sitzen oder stehen und spielen, oft wahre Virtuosen auf ihrem Instrument sind, huschen und rennen die Menschen an ihnen vorüber und nehmen kaum von ihnen Notiz, obwohl es sonst gerade die Straßenmusiker sind, die abends und an den Wochenenden die Innenstatt sichtbar und vor allem hörbar beleben.
In den Arkaden des traditionsbewusten Modehauses Loden-Frey - ein Wunder, das gerade dieses Haus nach wie vor noch existiert und nicht auch den Bach hinunter gegangen ist wie so manches einst stattliche Haus von gutem Ruf - saß ein Gitarrist und spielte Flamenco-Sonaten von Albeníz und Tarrega, und es war deutlich zu hören, dass er nicht nur in technischer Hinsicht ein Virtuose auf senem Instrument war, sondern sein ganzes Herz und Gemüt in sein Spiel legte.
Flamenco, jene Musik voller Leidenschaft, die manchmal von solchem Schmerz erfüllt ist, dass sie aus aufgerissenen Wunden zu bluten scheint... Nur den Sinti und Roma gelingt es, ihre Geige auf vergleichbare Weise zu weißglühendem Klagen zu bringen.
Doch es schien, als nähme niemand außer mir jenes kleine Wunder wahr, das sich in diesem Augenblick für jede und jeden hörbar auf offener Straße vollzog. Wie bereits erwähnt, rannten die anderen Passanten an dem Gitarristen vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen... Sind die Sinne, Seelen und Herzen der Menschen in dieser Stadt derart abgestumpft, erkaltet und vergröbert?
Schließlich ging auch ich weiter, bog vor der Theatinerkirche nach links ab und um die nächste Ecke.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde das Literaturhaus am Salvatorplatz 2012 eingeweiht, um all jenen eine Stätte der Inspiration und Begegnung zu bieten, die sich für das geschriebene Wort begeistern und sich intensiv damit befassen.
Begonnen hat das Literaturhaus sein Wirken mit einer großen Werkschau und Ausstellung über das Leben und Schaffen von Thomas Mann in München, vor allem über die Entstehungsgeschichte des Zauberbergs, für den ihn damals seine Frau Katia, die eine Zeitlang als Kurpatientin in Davos weilte, mit Schilderungen der Atmosphäre vor Ort und der Leidensgeschichte ihrer Mitpatientinnen und -patienten versorgte.
Ein paar Jahre später fand eine Reihe von Lesungen und Vorträgen zum Gedenken an Erich Kästner statt, der in München seine letzten Lebensjahre verbrachte, an denen ich ebenso hellwach und begeistert teilnahm wie an der Thomas Mann-Retrospektive.
Doch zurück zur Langen Nacht der Musik und der Rolle, die das Literaturhaus darin spielte.
Die Reihen der bogenförmigen Fenster in der zweistöckigen neubarocken Fassade in Weiß und Gold waren hell erleuchtet, und von drinnen wehten die Klänge und Rhythmen einer Jazz-Combo an mein Ohr. Eine klare, kraftvolle Frauenstimme setzte ein und sang Puttin On the Ritz von Irving Berlin.
Was ich hörte, ließ sich gut an; die Stimme der Sängerin erinnerte mich an Malis Schütz, die mit ihrem Instrumental-Trio Anfang Januar dieses Jahres beim Jazz-Brunch auf der M.S. Utting aufgetreten war.
"Nichts wie hinein," war mein erster Gedanke, den ich aber nicht in die Tat umzusetzen vermochte, weil beide Stockwerke des Literaturhauses derart von Besucherinnen und Besuchern überquollen, dass der Türsteher am Portal wegen Überfüllung keinen Einlass mehr gewährte.
Doch dies verdross mich nicht allzusehr, denn von meinem Posten aus hörte ich die Musik klar und deutlich genug, so dass ich blieb und im Stehen als "Fernhörerin" weiter lauschte - bis mich Swing-Rhythmen von einer Blechbläsergruppe ablenkten, die aus einer anderen Ecke an mein Ohr wehten.
Nur an die hundert Meter von mir entfernt spielte soeben die Big Band der Münchner Polizei im Odeon, dem seit langer Zeit nur noch selten genutzen Konzertsaal im Freien, den wir sonst als den Innenhof des Bayerischen Finanzministeriums kennen.
Doch es war wie verhext: Zwar hörte ich die Klänge und Rhythmen der Big Band klar und deutlich durch eine Toreinfahrt hindurch, doch als ich um die Ecke bog und mich umsah, fand ich nirgendwo eine Tür. Um mich herum gab es nur die Einfahrt und hoch aufragende Mauern, aber nirgendwo einen Einlass,,,
Allmählich bemerkte ich, dass meine Füße nachzugeben begannen, so dass ich mich zusehends dem toten Punkt näherte. Für einen kleinen Imbiss und einen Drink hier in der Nähe blieb mir noch Zeit, doch dann musste ich meine Zelte abbrechen, weil mir sonst in Fürstenried West der letzte Bus nach Hause davonfuhr...
Und so endete in diesem Jahr die Lange Nacht der Musik für mich im Salvatorhof vor der Front des Commercial, wo ich mir eine bunte Salatschale mit Thunfisch und Oliven und einen Aperol Spritz einverleibte, bevor ich die letzten paar Meter zum Odeonsplatz zurücklegte und mit der U-Bahn nach Hause fuhr.
Nicht alles war so gelaufen wie ursprünglich von mir geplant; doch alles in allem war es für mich ein schöner Abend gewesen, den ich gründlich genossen hatte.
Gerne wieder beim nächsten Mal, und dann sind die Spielorte dran, die ich diesmal nicht geschafft habe!