Aus der Welt der bildenden Künste
Schnitzeljagd einmal anders - "Kunst in Sendling"
Erinnern sich einige meiner geneigten Leserinnen und Leser noch an Wandertage oder Ausflüge, die mit einer Schnitzeljagd verbunden waren? Sie wissen schon, dieses alte Pfadfinderspiel, bei dem es Aufgaben zu lösen oder Dinge zu finden gilt, die auf einem Parcours an an bestimmten Orten versteckt sind und zu denen Hinweise in Form von Pfeilen und Symbolen führen?
So ähnlich geht es zu, wenn zwischen Harras, Großmarkthalle und der alten Sendlinger Pfarrkirche die Ausstellungsreihe "Kunst in Sendling" stattfindet; ein Wochenende, an dem die Maler, Skulpturisten, Fotodesigner und andere Künstler entlang der Plinganser- und Oberländerstraße ihre Ateliers öffnen bzw. ihre Werke in Räumen ausstellen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden.
Wenn es in der Info-Broschüre heißt, dass die Veranstaltung am Freitag ab 18:00 Uhr, am Samstag ab 14:00 Uhr und am Sonntag ab 12:00 Uhr eröffnet wird, ist dies nicht an jedem Ausstellungsort wörtlich zu nehmen. Zwar haben viele der Beteiligten ihre Räume und Werke zu dieser Zeit für den Empfang ihrer neugierigen Gäste vorbereitet, aber manche beginnen erst, sich und ihre Objekte einzurichten; sprich, man sollte auf dem Weg durch das Herz von Sendling Zeit und Muße mitbringen.
Weshalb ich im Titel meines Artikels und in der Einleitung "Kunst in Sendling" mit einer Schnitzeljagd vergleiche? Weil man durch Sträuße aus bunten Luftballons zu den einzelnen Ateliers und Schauräumen geleitet wird, und weil sie einem nicht sofort ins Auge springen; meist muss man treppauf, treppab nach ihnen suchen, ob in den Gebäuden oder in einem der stillen, verwinkelten, tiefgelegten Hinterhöfe der Plinganserstraße.
Zu den Werken des Fotografen und Designers Jonathan Gordon zum Beispiel gelangt man durch den Torbogen der Scheune des Stemmerhofes und über die Treppe, die zum Sendlinger Hoftheater führt, sprich in den ersten Stock hinauf. Nach rechts geht es zum Foyer des Theaters, und nach links in sein Atelier.
Begonnen hat Jonathan Gordon die Präsentation seiner Werke mit Möbeln und Objekten, die er in einem Raum oder einer Landschaft platziert und den Betrachter zum Innehalten bringt. In diesem Jahr hat er sich auf zwei Collagereihen fokussiert: "Emblems" rückt die Darstellung von Händen in den Mittelpunkt, die in einen Handschuh gehüllt sind oder einen Gegenstand halten - einen Geldschein, einen Rührbesen oder ein Wollknäuel zum Beispiel -, und "Flowers are Dying. Lets Buy Jewels", wo zart und fein gestaltete Blüten, Stiele und Zweige in ein unverkennbar blutiges Rot getaucht sind oder Menschen unter Kaskaden von Blüten fast begraben sind, die jene Menschen schier verschlingen...
Einen Stock höher, im Obergeschoss unter dem Dach, hat Miriam Paschke ihr Atelier und ihre Malschule eingerichtet, in der sie Interessierte jeden Alters den Umgang mit Aquarell- und Acrylfarben lehrt und ihre Werke nach zwei grundlegenden Vorgehensweisen erschafft: entweder in Gestalt einer Fotocollage, die sie teilweise übermalt, oder mit Acryl- und Aquarellfarben. Letztere erzeugen das typische Ineinanderfließen der Formen und Farben, von dem ihre florealen Gemälde geprägt sind. Bei Miriam Paschke dominieren entweder warme Rottöne oder der Kontrast von Grün und Gelb.
An der Ausstellungsreihe beteiligt sich auch die Pfarrgemeinde St. Margarethen und stellt dafür den Pfarrsaal und das Untergeschoss der Margarethenkirche zur Verfügung. Zwar liegen in den Tiefen der klassizistischen Kirche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrer markanten Kuppel und dem weithin sichtbaren Glockenturm keine Gebeine von Heiligen oder Geistlichen begraben; doch weil man über eine Außentreppe in die Tiefe hinabsteigen und den Kopf einziehen muss, wenn man durch das niedrige kleine Portal die "Unterkirche" betritt, nenne ich diesen Raum unter der Erde für mich selbst "die Krypta".
In diesem Jahr haben sich Manuela Müller und Elke Unkrig in der "Krypta" einquartiert und mit ihren Objekten die Vergänglichkeit und Auflösung jeglichen Seins hervorgehoben.
Manuela Müller ist dafür bekannt, dass sie Formen in einer Collage arrangiert oder die von ihr erwählten Motive in einer Video-Installation zeigt. So hat sie an einer Wand aus Jute eine Handvoll großer Amaryllisblüten, die in tiefem, sattem Violett schimmern, aber bereits welken, mit der Blüte nach unten aufgehängt oder aus champagnerfarbenem Filetgarn ein Netz gehäkelt und es mit weißen und goldgelben Blütenknospen übersät.
In der Video-Installation "Panta Rhei" zeigt sie die Rolltreppe der U-Bahn am Marienplatz und Menschen, die ständig aufwärts und abwärts fahren, und bringt dadurch zum Ausdruck, wie wir Menschen in einem stetigen, unaufhaltsamen Strom durch Zeit und Raum fließen.
In "Was bleibt" sieht man den kobaltblauen Spiegel des Königssees, über dem sich die Berge des Watzmann-Massivs erheben. Während See und Gebirge still und reglos vor dem Auge des Betrachters liegen, geht über die Video-Installation auf dem Monitor ein stetiges leises Flirren hinweg. Mit anderen Worten: Auch wenn sich eine Landschaft vor dem Auge des Betrachters nicht verändert, nagt dennoch ständig der Zahn der Zeit an ihr...
Auch die Skulpturistin Elke Unkrig spricht in ihrem Schaffen von Auflösung und Vergehen, verwendet indes für ihre Darstellungsweise andere Materialien: Holzscheite mit Astlöchern, Querschnitte von Baumstämmen mit Jahresringen und alte knorrige Wurzelstöcke.
Der mächtige Querschnitt eines Baumstamms, der von einem dunklen Loch ausgehöhlt ist, erinnert an die schimmernden Spitzen von Amethysten in einer Druse, zeigt indes lediglich dunkles altes Holz. Zwei knorrige alte Wurzelstöcke, ineinander geschoben, fast verflochten, halten zwischen sich die Windrose eines Kompasses in der Schwebe. Nackt und dürr wie ein mahnend erhobener Finger steht das Fragment eines Astes im Raum...
In einer Skulpturcollage, die Elke Unkrig den Veränderungen menschlicher Beziehungen in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 gewidmet hat, erinnert die Maserung von Holzscheiten, die sie aufgestellt und an der Wand aneinandergereiht hat, an menschliche Silhouetten, die schmal und niedergedrückt wirken und durch die hölzernen Wälle, die sie hoch und undurchdringlich umschließen, voneinander isoliert sind.
All diese Skulpturen ziehen die Aufmerksamkeit des Betrachters unweigerlich auf sich und erfüllen das Gemüt mit nachdenklichem Sinnen, das mit der Zeit in leise Beklemmung übergeht, wenn man ihren Anblick auf sich wirken lässt...
Andere Farbtöne und ein anderes Flair bot die Gemeinschaftsausstellung im Pfarrsaal von St. Margarethen, zu der sich die Malerinnen Kati Weiß, Brigitte Karg, Gabriele Behr und Roswitha Huber zusammengeschlossen haben. Obgleich Stil und Ausdruck im Saal von Ecke zu Ecke variierten, zeigten die Gemälde dieser vier Künstlerinnen ausnahmslos Licht, Lebendigkeit und Zuversicht.
Im Schaffen von Kati Weiß und Brigitte Karg dominieren Blau-, Grün- und Gelbtöne auf weißem Grund. Doch während die Formen in den abstrakten Gemälden von Kati Weiß so rund, strukturiert und regelmäßig sind, als hätte sie ihre Formen und Farben mit einem Druckstempel aufgetragen, stellt Brigitte Karg meist eine abstrakte Form in den Mittelpunkt ihres Gemäldes, die wie eine Art Welle in ihre Umgebung überfließt. Bei den Bildmotiven von Kati Weiß denke ich automatisch an Lebensfreude und Zuversicht, während jene von Brigitte Karg zwar Kraft und Fülle, aber nach meinem Empfinden mehr Tiefe und Gewicht ausstrahlen.
Mit kraftvollem Purpur- und Weinrot setzt Gabriele Behr gegen das Blau, Grün und Gelb von Kati Weiß und Brigitte Karg einen deutlichen Kontrapunkt. Während die Farben ihrer beiden Malerkolleginnen lebendig, anregend und frisch wirken, verströmen sie bei Gabriele Behr eine anheimelnde, fast intime Wärme und Glut.
Und während die Motive und Formen der drei vorgenannten Malerinnen ausnahmslos abstrakt bleiben, setzt ihre Kollegin Roswitha Huber auf die konkrete, eindeutig erkennbare Gestalt von Blumen, die zum Strauß arrangiert sind oder auf einer Wiese im Wind wehen. Bei Roswitha Huber vereint sich alles zu einem Ganzen: das Lebendige und Frische mit dem Warmen und Anheimelnden.
Mit einer ebenso ungewöhnlichen wie interessanten Idee wartete an diesem Wochenende Susanne Müller auf, die sich im Erdgeschoss eines jener Gebäude einquartiert hatte, die in den Hinterhöfen der kleinen "Tiefebenen" liegen, die man von der Plinganserstraße über ein paar Stufen erreicht.
Ihre Idee hängt damit zusammen, dass der Umgang mit Pinseln und flüssigen Farben zwar Spaß macht, aber auch mit Klecksen und Spritzen einhergeht; sprich, wer malt, beschmiert fast unweigerlich sein Hemd, T-Shirt oder seinen Kittel mit Farbe.
Und Susanne Müller hat aus dieser Tatsache eine Kunstform gemacht: In ihrem Atelier an der Treppe hängen an Kleiderbügeln T-Shirts und Hemden, die reichlich mit Klecksen und Streifen jeglicher Couleur versehen sind. Die Farbkontraste und -übergänge sind bewusst gesetzt; doch die Farben sind asymmetrisch und roh aufgetragen, sollen unfertig, wild und ungezähmt wirken.
Vor diesem Besuch hatte ich noch gar nicht gewusst, dass kleine Schweinereien auf der Kleidung eine solch lebendige, durchaus ansprechende Wirkung haben können...
Als Letztes suchte ich den kubanischen Maler Nelson Ramos Sandoval auf, der aktuell mit seinen Werken in München gastiert und sich an diesem Wochenende ebenfalls im Tiefgeschoss eines fast leerstehenden Gebäudes an der Plinganserstraße einquartiert hatte.
Auch wenn seine Heimat Kuba zu den Inseln der Karibik gehört, kommen mir bei seinen farbenfrohen, rhythmisch strukturierten Darstellungen die Kalender der Maya und Azteken in den Sinn mit ihren kreisförmig angeordneten, den Zyklen von Sonne und Mond und den Sternzeichen im Lauf der Jahreszeiten entsprechenden Mosaiken und ihren kraftvollen, lebendigen Farben.
Doch während bei den Maya und Azteken runde oder rechteckige Formen dominieren, sieht man in den Gemälden von Nelson Ramos Sandeval überwiegend Blasen und Augen, die über das ganze Bild hinweg tanzen, die sehen, für den Betrachter aber nicht zu fassen sind.
Und während manche Bilder der Maya und Azteken etwas Dunkles, manchmal auch latent Grausames haben, sind Sandovals Bilder von Licht, Lebensfreude und Heiterkeit geprägt; so als feiere dieser Maler das Leben schlechthin, ohne Gedanken an Blut und Opfer.
Allerdings zeigte es sich an diesem Nachmittag auch, dass die Natur zuweilen jeden Künstler in den Schatten stellt.
Das Geländer vor einem der kleinen tiefgelegten Höfe an der Plinganserstraße war von rot-grünem Weinlaub überrankt, und das Farbenspiel des Weinlaubes wie auch der von keiner menschlichen Hand bewirkte Schwung des Rankenwerks übertraf manch ein Gemälde an Klarheit, Schönheit und Wirkung.
Mein Fazit:
Für mich hat sich die Schnitzeljagd durch Sendling auf den Spuren der Kunstschaffenden, die ihre Werke in der Öffentlichkeit zeigten, in jedem Fall gelohnt; eine ebenso anregende wie Geist und Sinne bildende Möglichkeit, den Nachmittag zu verbringen!