III. Das CATROPOLIS-Festival und seine Mitwirkenden
Wenn man vom S-Bahn-Zwischengeschoss am Rosenheimer Platz beim Gasteig-Aufgang an die Oberfläche tritt, kommt man als erstes an einem Gebäuderiegel mit einer durchgehenden Glasfront vorbei, hinter der sich drei Ateliers aneinanderreihen.
Das erste Atelier vorne links bietet kreative Designermode und Stoffe für Handarbeiterinnen an. Als um 16:00 Uhr das CATROPOLIS-Festival eröffnet wurde, saßen zwei Damen an kleinen Holztischen hinter zwei Nähmaschinen, und neben ihnen standen Körbe mit Tuchstoffen in verschiedenen Farben und Größen.
Wer als neugieriger Passant Lust hatte bzw. sich traute, durfte einen Tuchstoff aus einem der Körbe wählen, davon mit einer Schere ein Quadrat abschneiden, es gleich einem Puzzlestück in eine Patchwork-Decke einsetzen und das neue Quadrat mit der Nähmaschine an die bereits zusammengefügten Quadrate annähen. Die beiden Atelierbesitzerinnen, von denen diese Initiative ausging, hatten es sich zum Ziel gesetzt, dass die Patchwork-Decke bis zum Ende des Festivals - sprich, bis gegen 21:30 - fertig werden sollte. Ein sportlicher Plan, wenn man bedenkt, wie schwierig es sein kann, Münchner Passanten zum Mitmachen bei gleich welcher Aktion zu bewegen...
Vor dem Raum rechts nebenan, in dem sich ein Büro für politische Bildung in Bayern niedergelassen hat, lagen rechts neben dem gepflasterten Gehweg vier große runde Stoffschilder am Boden in einem losen Kreis, die mit Inschriften versehen waren: "HÄÄ? Das überrascht mich" (blau), "YEAH! Das freut mich" (rosa), "BUUH! Das ärgert mich" (orange), und "HMM... Das macht mich traurig" (grün).
Wer an dieser Aktion teilnehmen wollte, bekam von den Bürovorsteherinnen vier kleine Kärtchen in den Farben der Kreise und einen schwarzen Eddingstift überreicht und sollte auf jeder Karte ein paar Stichworte festhalten, was einen eben überrascht oder erfreut oder ärgert oder traurig macht. Die ausgefüllten Kärtchen wurden auf zwei kleinen blauen Liegestühlen nach Farben geordnet und gesammelt und sollten im Lauf der Veranstaltung die runden Kreise auf dem Boden füllen.
Und vor dem dritten und letzten Atelier vor der Abzweigung zum Zentralbereich des alten Gasteigs, in dem sich ein Reparaturcafé niedergelassen hat, das bei der Wiederherstellung von Geräten aller Art mit Rat und Tat zur Seite steht und bei Bedarf auch Werkzeug zum Ausleihen vermietet, war an einem Baum ein Gitter aus Metallstäben aufgebaut, an dem auf kleinen runden Papierschildern die Menschenrechte aus der U.N.-Charta und unserem Grundgesetz und andere menschliche Werte geschrieben standen: "Frieden", "Freiheit", "Chancengleichheit", "Solidarität", "Gerechtigkeit" etc. Hier durfte man aus einem Korb einen Wollfaden von zwei Metern Länge nehmen und die ausgewählten Werte mit diesem Wollfaden verbinden.
Hmm... Patchworkarbeit bzw. Handarbeit an sich war und ist nicht gerade mein Ding, auch hatte ich an diesem Nachmittag keine Lust, auf offener Straße einen Seelen-Striptease hinzulegen, auch wenn dieser anonym bleiben würde, doch das Gitter mit den Werten und Menschenrechten sprach mich an.
Also nahm ich mir einen türkisgrünen Wollfaden aus dem Korb und verband Frieden mit Freiheit, Chancengleichheit und Gerechtigkeit, genau die Werte, die mir viel bedeuten und für die ich mich mein Leben lang ausgesprochen und eingesetzt habe.
Das erste Live-Konzert war nicht zu verfehlen, denn aus der Glashalle drangen die fröhlichen und kraftvollen Stimmen eines Chores, die Begleitakkorde einer Konzertgitarre und kratzendes Klopfen auf einem Cajón, uns auch als "Waschbrett" bekannt, an mein Ohr.
Drinnen standen Frauen in bunten Sommerkleidern und Männer in Jeans und Karohemden auf einer Kreuzung zwischen einem Gerüst und einer Treppe, die heute über der Rolltreppe aufgebaut ist, die früher zu den Konzertsälen und zur Zentralbibliothek hinauf führte; und der kräftig und stämmig gebaute Herr, der auf der obersten Treppenstufe in der Mitte stand, schwenkte stolz und mit erstaunlicher Ausdauer die blau-gelbe Flagge des Chores und ließ den Namen wehen, der auf der Flagge geschrieben stand: Buddy Spenzer Heart Chor.
Es war um 2017 in Giesing, als ein Musiklehrer auf die Idee kam, die Song aus den Soundtracks zu den Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill einzustudieren und zu singen, und im Lauf der Jahre fand er an die dreißig willige und gut gelaunte Frauen und Männer, die bereit waren, seine Idee mitzutragen.
Nun ist der Haudrauf-Klamauk von Plattfuß in Afrika, Das Nilpferd und sein Krokodil, Zwei wie Pech und Schwefel etc. nicht wirklich mein Ding, so dass ich mir diese Filme in meiner Kindheit und Jugend nicht angesehen habe; und daher ist der einzige Song aus dieser Filmreihe, den ich kenne, Flying Through The Air von den Oliver Onions.
Doch die anderen Lieder, die dieser Chor sang, handeln von Freundschaft und Zusammenhalt, vom Wert eines guten Freundes, auf den man sich verlassen kann, der einen im wahren Sinn des Wortes "raus haut", wenn Not am Mann oder an der Frau ist; und in ihrem Klangbild und ihrer Rhythmik ähneln sie Gospel- und Spiritual-Songs der fröhlichen, triumphierenden Art.
Auf jeden Fall verbreitete der Buddy Spenzer Heart Chor (der Name wurde bewusst falsch geschrieben, um Streitigkeiten wegen Titel- und Namensrechten zu vermeiden) dynamische, lebendige Schwingungen, die das ganze Gebäude erfüllten und von seinen Glas- und Backsteinwänden widerhallten; und die fröhlichen, strahlenden Gesichter der Sängerinnen und Sänger verkündeten überzeugend, dass sie Spaß und gute Laune hatten.
Dieses Treppenkonzert hatte sich schon einmal für mich gelohnt! Da indes auf der ersten Etage noch einige andere Auftritte stattfanden, stieg ich über den vorderen Treppenaufgang neben der Pförtnerloge der Glashalle eine Ebene höher.
Aus der Black Box links neben der Garderobe der Zentralbibliothek, deren imposante Raumfluchten leider seit fünf Jahren verwaist, leer und öde stehen, dröhnten zwei E-Gitarren, und ein mächtiges Drumkit sprengte den kleinen niedrigen Raum schier entzwei... Neugierig betrat ich den kleinen Korridor zwischen dem Foyer und dem Zuschauerraum der Black Box und musste mich erst einmal an den Übergang vom hellen Sonnenlicht zur Finsternis eines Konzertsaals gewöhnen, als ich ins Innere wie in eine dunkle Höhle tappte.
Doch die für den kleinen Raum erstaunlich große und geräumige Bühne an der Stirnseite war vom Scheinwerferlicht hell ausgeleuchtet, und dort vorne standen die drei Jungs der Band Boys of Kings. Ihrer Statur und ihrem Aussehen nach dürften sie nicht älter als sechzehn Jahre sein, haben indes in diesem Gebäude bereits ihren eigenen Raum gemietet, in dem sie ihre Songs einstudieren und für Demos aufnehmen.
Während der Bassist in der Mitte zum Teil noch mit dem Stimmbruch zu kämpfen hatte oder vielleicht auch wegen einer Erkältung rau und krächzig sang - was aber zum Stil und Sound der Band recht gut passte -, kam die Stimme des Leadgitarristen und -sängers an seiner linken Seite deutlich voller, runder und insgesamt reifer herüber, obwohl er nicht älter als sein Kumpel sein mochte.
Doch die beiden singenden Gitarristen beherrschten ihre Instrumente sicher und souverän und sorgten für einen druckvollen, wuchtigen Sound, der nach Rebellion und Protest klang. Und der Schlagzeuger rechts außen saß hinter einem bestens ausgestatteten Drumkit, grinste selig vor sich hin, schüttelte seine langen geflochtenen Rastazöpfe - und zerlegte mit seinem zupackenden, kraftvollen Schlag schier die Wände dieses kleinen Gelasses!
Die drei Jungs von Boys of Kings sagen, dass sie ihre Songs selbst schreiben, sozusagen aus dem täglichen Leben an der Schule und in ihrer Clique mit all dem Zoff und Ärger, den man als Sechzehnjähriger hin und wieder hat, und gegen den man seinem Alter und Hormonhaushalt gemäß wettert und donnert.
Ihr Sound lehnt sich deutlich an den Grunge-Rock von Nirvana an, und nach Teen Spirit riecht es auch bei ihnen: "Here we are now! Entertain us!" Doch gerade das Rohe und Unfertige in der Stimme des Bassisten, das von seinem Bandkumpel an der Leadgitarre aufgefangen und ausbalanciert wird, verleiht dieser Teenie-Band Echtheit und Glaubwürdigkeit.
Nur der Tontechniker hatte alle Hände voll zu tun, musste sich immer wieder an das Mischpult in der linken Raumnische der Black Box schwingen, um die Lautstärke etwas zu zügeln... Ich wünschte den dreien im Stillen noch viel Spaß an ihrem Gig und schlüpfte wieder ins Foyer hinaus.
Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn zwischen dem Treppengeländer der ersten Etage und der gemauerten Wand links neben der ehemaligen Bibliotheksgarderobe ging gerade die Batería To Dentro in Stellung, eine Münchner Samba- bzw. Latin-Percussion-Formation mit drei Basstrommeln, drei Snare Drums, drei Handtrommeln, zwei Rasseln und zwei Kuhglocken - und einer Tänzerin im Karnevalsornat, sprich, in einem offenherzigen leuchtend grünen Trikot und mit einem imposanten Kopfputz aus künstlichen Federn in derselben Farbe.
Neben Vem Conmigo ist die Batería To Dentro die bekannteste Latin-Percussion-Gruppe in unserer Stadt; beim Faschingsendspurt in der Münchner Fußgängerzone, auf der St. Patricks Parade und im Programm des Stadtgründungsfestes fehlen diese beiden Ensembles nie.
Eine meiner Eigenheiten ist, dass ich zwar lange unterwegs sein, gehen und sitzen, aber nicht lange an ein und derselben Stelle stehen bleiben kann. Irgendwie mag mein Kreislauf keinen Stillstand und erst recht kein Sich-die-Beine-in-den-Bauch-Stehen. Doch seltsamerweise ist dies anders, wenn ich Samba oder andere lateinamerikanische Rhythmen höre! Vielleicht liegt es daran, dass ich beim Donner einer Latin-Percussion-Gruppe nicht stillstehe, sondern die ganze Zeit tänzle und wackle, also auf meinem Fleck ständig in Bewegung bin.
Jedes Mal, wenn das wuchtige "BOMM-bomm, BOMM-bomm" der großen Basstrommeln den Boden unter meinen Füßen erbeben lässt, das "Pada-pada-bamm, bamm-bamm-bamm" der Snare Drums und der kleinen runden Handtrommeln den Rhythmus vorantreibt, die Kuhglocken mit "Bimbim-bam, bim-padabam" Akzente setzen und das "S-S-S-S" der Rasseln und Maraccas die Rhythmusfuge zusammenhält, ist mir zu Mute, als sei ich mit dem Puls der Erde selbst verbunden; als sei ich lebendiger und würde das Leben stärker und intensiver spüren als sonst.
Und während die Trommler-Combo donnert und pumpt, hämmert und scheppert, zucke ich selig vor mich hin und wünsche mir in solch einem Moment immer, einmal in meinem Leben beim Karneval in Rio live vor Ort dabei zu sein oder ihn zumindest vom Fenster meines Hotelzimmers aus zu sehen und zu hören. Bei dem "BOMM-bomm, BOMM-bomm", "Pada-pada-bam, bamm-bamm-bamm" und "Bimbim-bam, bim-padabam", das von früh bis spät durch die Straßen und Plätze hallt, könnte ich die ganze Nacht lang zucken und wackeln, ohne dass ich müde werde...
Nach dem Live-Act der Batería To Dentro weckte ein anderer Name mein Interesse, der an der Wand der Black Box geschrieben stand: Whats Up Brass Band. Eine kurze Recherche bei Google ergab, dass es auch diese Gruppe bereits seit 2017 gibt und dass sie aus zwei Trompetern, zwei Posaunisten, einem Tenor- und einem Bariton-Saxophonisten, zwei Schlagzeugern und einer Sousaphonistin besteht.
Bis zum CATROPOLIS-Festival hatte ich von der Whats Up Brass Band noch nie gehört; doch wenn sie in Richtung La Brass Banda oder Vengaboys ging, verhieß ihr Name Gutes! Und ich wurde nicht enttäuscht, als ich mich ein zweites Mal durch den dunklen kleinen Korridor der Black Box schob und diesmal in der vordersten Reihe rechts von der Bühne sogar noch einen Sitzplatz fand.
Selten habe ich im Großraum München solch eine lebendige, gut gelaunte und spielfreudige Band gehört; und vor allem, was für ein voller, satter und zugleich gestochen klarer und reiner Sound aus ihren Trompeten, Posaunen und Saxophonen herauskam!
Der Gig begann mit Asterix, einer modernen Swing-Nummer, die Whats Up in einer Jazzkneipe in Amsterdam kennengelernt hat, ebenso die niederländische Formation Gallowstreet, von der das Stück stammt. Wie der Bandleader dem Publikum erzählte, sollen die Jungs von Gallowstreet noch besser blasen als er und seine eigenen Musiker; doch seit diesem Abend in Amsterdam haben sie Whats Up erlaubt, Asterix auch bei ihren Auftritten zu spielen.
Später, sprich zu Hause, habe ich mir die Originalfassung von Gallowstreet angehört und festgestellt, dass diese Big Band-Formation zwar rasanter und härter bläst, unsere Münchner Lokalmatadore aber melodiöser und voller klingen.
Die anderen Stücke, die Whats Up in ihrem Set unterbrachte - wenigstens hatte man allen Bands, die beim CATROPOLIS-Festival auftraten, eine ganze Stunde Spielzeit eingeräumt und nicht nur eine halbe wie in der Langen Nacht der Musik oder beim Klangfest - waren K.K. Insanity von Animals Crossing und Jamiroquai, Bad Habits von Ed Sheeran und Thrift Shop von Macklemore & Ryan Lewis; allesamt mit viel Sinn für wechselnde Klangschattierungen und rhythmische Übergänge in den Saal geschmettert.
Alles in allem ähnelt der Sound und Stil dieser jungen frischen Big Band dem der Phoenix Horns, was ihre Perfektion und Lebendigkeit angeht. In den 1980er und 1990er Jahren haben die Phoenix Horns Phil Collins bei seinen Live-Konzerten begleitet, weil er ein Faible für den Big Band-Sound von Trompeten, Posaunen und Saxophonen hatte und die kurz und grell geschmetterten Stöße, die vom Blech kamen, ihnen noch mehr Würze und Lebendigkeit verliehen.
Während ich den Gig meiner neuen musikalischen Entdeckung in vollen Zügen genoss, stellte ich zugleich für mich selbst fest, dass Swing und Funk mir mehr liegt als Jazz. Zwar gibt es auch hier rasante Läufe und Tremoli und in jedem Stück mindestens zwei Soli; aber die Klangstruktur eines Stückes bleibt beim Swing und Funk durchgängig "zusammen" und eiert längst nicht so ausufernd mit der Kirche ums Dorf wie beim Jazz.
Vergnügt und bei bester Laune kehrte ich an diesem Abend vom CATROPOLIS-Festival nach Hause zurück und sagte mir, dass es um den alten Gasteig bestens bestellt ist, wenn man dort nach wie vor erstklassige Abende wie diesen geboten bekommt!