Informationen zum Datenschutz
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Wir nutzen auf Wunsch nur technisch erforderliche Cookies die nach dem Schließen des Browsers wieder gelöscht werden. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung .  
Nur essentielle Cookies erlauben    Essentielle und Analysecookies erlauben

Impressum | Datenschutzerklärung
Blog

Meine Blogs

Meine Impressionen







Ich schreibe derzeit zu folgenden Themen






~ Auszug aus meinen Blogs ~




31.10.2024 - Das eine gehört zum anderen
Um noch einmal auf "Hallelujah" und seine Bedeutung zurückzukommen: Es lässt sich nicht bestreiten, dass dieser Song den körperlichen Ausdruck der Liebe als eine elementare, überwältigende Macht feiert. Sachlich und nüchtern nennen wir dies Sexualität. Doch dieses Schlagwort verwendet Leonard Cohen nie, sondern beschreibt, wie sie sich für uns anfühlt; auch den tiefen Schmerz, der entsteht, wenn die Liebe vom anderen verraten oder entzogen wird; wenn wir vom anderen und damit auch ein Stück weit von der Liebe verlassen werden.  Warum und wozu lassen wir uns auf diese elementare, überwältigende Macht ein, wenn sie nicht von Dauer ist und uns unweigerlich Schmerz zufügt, sobald sie aus unserem Leben entschwindet? Aus einer uns Menschen angeborenen Notwendigkeit heraus? Weil etwas in unserer Natur dem Licht, dem Feuer entgegenstrebt und Licht bzw. Feuer eben  auch Schmerz verursacht?


Das eine gehört zum anderen
 

Um noch einmal auf Hallelujah und seine Bedeutung zurückzukommen:

Es lässt sich nicht bestreiten, dass dieser Song den körperlichen Ausdruck der Liebe als eine elementare, überwältigende Macht feiert. Sachlich und nüchtern nennen wir dies Sexualität.

Doch dieses Schlagwort verwendet Leonard Cohen nie, sondern beschreibt, wie sie sich für uns anfühlt; auch den tiefen Schmerz, der entsteht, wenn die Liebe vom anderen verraten oder entzogen wird; wenn wir vom anderen und damit auch ein Stück weit von der Liebe verlassen werden. 

Warum und wozu lassen wir uns auf diese elementare, überwältigende Macht ein, wenn sie nicht von Dauer ist und uns unweigerlich Schmerz zufügt, sobald sie aus unserem Leben entschwindet? Aus einer uns Menschen angeborenen Notwendigkeit heraus? Weil etwas in unserer Natur dem Licht, dem Feuer entgegenstrebt und Licht bzw. Feuer eben  auch Schmerz verursacht?

In seinem Song Anthem, den Leonard Cohen auch in seinem letzten Album You Want It Darker verewigt hat, singt bzw. sagt er: 

    "Theres a crack, a crack in everything;

    That s how the light gets in."


Offenbar sieht er in den Brüchen, die unseren Seelen und Herzen zugefügt werden, einen Weg, um das Leben besser zu begreifen; einen Weg des inneren Reifens und Wachsens. 

In diesem Zusammenhang kommt ein weiterer Wesenszug zum Tragen, der dem jüdischen Volk seit jeher innewohnt: trotz aller Schmerzen und Brüche das Leben an sich zu bejahen, am Leben zu hängen und sich trotz allen Ringens und Haderns zu Gott als einer lebendigen Macht zu bekennen, die das Leben trägt und erhält. 

Denn "Hallelujah" bedeutet nichts anderes als "Lobe JHWH" und damit "Lobe Gott".

Welche Strophe von Hallelujah ich für mein Leben und Sein als prägend empfinde? Zu diesem Zweck erlaube ich mir, eine Zeile in einer ganz bestimmten Strophe ein wenig abzuwandeln:

    "I gave my best, yet it wasnt much;
    I learned to feel, but I could not touch;
    but you should know I have not come
    to fool ya.

    And even though it all went wrong,
    Ill stand before the Lord of songs
    with nothing on my tongue but
    Hallelujah.


Denn so sehr ich mich in meinem Leben auch bemüht und soviel ich auch gegeben habe: Trotz all meines Strebens hat es nie gereicht. So viel habe ich in meinem Leben gefühlt und erkannt und dies in Worten auszudrücken versucht; doch erreicht im Sinne von berührt habe ich damit die Menschen nicht. Doch was auch immer ich niederschrieb, in dem Moment, da ich es tat,  habe ich meine Worte auch so gemeint und nicht anders.

Doch dies ist die einzige Änderung, die ich mir an dieser Strophe erlaube; denn an ihrem Sinn und Zusammenhang gibt es für mich nichts zu rütteln. Denn diese Strophe verstehe ich so, dass der Sinn des Lebens nicht darin liegt, dass etwas gelingt, das einem am Herzen liegt und das man angeht. 

Der springende Punkt ist eher dieser: Wenn man sich von Herzen um etwas bemüht, das einem wichtig ist und man es nicht erreicht, war es genau deshalb nicht vergebens. Denn das Streben eines jeden Menschen ist Teil eines riesigen, unendlich vielfältigen Mosaiks, zu dem sich die Wahrheiten und Erkenntnisse dieser Welt zusammenfügen. 

Und was auch immer jemandem als Wahrheit und Erkenntnis einleuchtet, so das sie oder er es in Worte fasst und niederschreibt, ist einer der unendlich vielen Steine in diesem Mosaik.
 



31.10.2024 - Ein Leben auf der Suche
Zwei grundlegende Aspekte sollte man kennen und verstehen, die Leonard Cohen bis ans Ende seines Lebens geprägt und begleitet haben, um die steinigen, nicht selten mühsamen Wege nachvollziehen zu können, die er in seinem Leben eingeschlagen hat und die ihn am Ende zur Klarheit und zum Frieden mit sich selbst geführt haben. Der grundlegendste Aspekt, der sein Leben am meisten geprägt hat, hängt damit zusammen, dass die Bedeutung seines Namens auf die frühen Tage des Alten Testaments zurückgeht. Nach dem 1. Buch Mose sind aus den zwölf Söhnen Jakobs die zwölf Ur-Stämme Israels hervorgegangen; und aus dem Stamm Levi kamen die Priester, auf Hebräisch kohanim, die im Allerheiligsten vor dem Altar als Gottes Thron auf Erden ihre Opfer darbrachten, Gott für seine Wunder lobten und verherrlichten und in Zeiten der Not und Prüfung auch mit ihm rangen und haderten.  Vielleicht liegt die Ursache, die Leonard Cohen ein Leben lang nach Wahrheit und Erkenntnis suchen ließ, in der Bedeutung seines Namens; vielleicht auch darin, dass diese Suche dem jüdischen Volk in die Wiege gelegt wurde, das von Kindesbeinen an daran gewöhnt ist, Bücher zu lesen und zu studieren, und es ein Leben lang tut. Wie seine Glaubensgenossen hat auch er sich in seiner Schulzeit durch die Thora und nach der Bar-Mizwah durch den Talmud buchstabiert, wobei er sich mit den Texten, die er las, stets kritisch, ja zuweilen sogar hadernd auseinandersetzte; was ein weiteres essentielles Element der jüdischen Geisteswelt ist. Später studierte er die Lehren Jesu und der Apostel im Neuen Testament und auch die Kabbala, mit der man sich nicht vor dem vierzigsten Lebensjahr befassen sollte, da ihr Studium einen bestimmten Grad geistig-seelischer Reife voraussetzt.  Und im Alter von sechzig Jahren zog er sich als Mönch auf den Mount Baldy bei Los Angeles zurück, auf dem in einer archaisch anmutenden Klosteranlage eine der strengsten Formen des Zen-Buddhismus gelehrt und praktiziert wird. Doch ganz gleich, welche Wege er einschlug und studierte: Der Kern seiner Suche lag stets darin, die Gesetze zu verstehen, nach denen sich das Leben vollzieht und die unser Wesen und Sein ausmachen, und auch, was für ein Sinn in Dunkelheit, Leid und Schmerz liegt.


Ein Leben auf der Suche
 

Zwei grundlegende Aspekte sollte man kennen und verstehen, die Leonard Cohen bis ans Ende seines Lebens geprägt und begleitet haben, um die steinigen, nicht selten mühsamen Wege nachvollziehen zu können, die er in seinem Leben eingeschlagen hat und die ihn am Ende zur Klarheit und zum Frieden mit sich selbst geführt haben.

Der grundlegendste Aspekt, der sein Leben am meisten geprägt hat, hängt damit zusammen, dass die Bedeutung seines Namens auf die frühen Tage des Alten Testaments zurückgeht.

Nach dem 1. Buch Mose sind aus den zwölf Söhnen Jakobs die zwölf Ur-Stämme Israels hervorgegangen; und aus dem Stamm Levi kamen die Priester, auf Hebräisch kohanim, die im Allerheiligsten vor dem Altar als Gottes Thron auf Erden ihre Opfer darbrachten, Gott für seine Wunder lobten und verherrlichten und in Zeiten der Not und Prüfung auch mit ihm rangen und haderten. 

Vielleicht liegt die Ursache, die Leonard Cohen ein Leben lang nach Wahrheit und Erkenntnis suchen ließ, in der Bedeutung seines Namens; vielleicht auch darin, dass diese Suche dem jüdischen Volk in die Wiege gelegt wurde, das von Kindesbeinen an daran gewöhnt ist, Bücher zu lesen und zu studieren, und es ein Leben lang tut. 

Wie seine Glaubensgenossen hat auch er sich in seiner Schulzeit durch die Thora und nach der Bar-Mizwah durch den Talmud buchstabiert, wobei er sich mit den Texten, die er las, stets kritisch, ja zuweilen sogar hadernd auseinandersetzte; was ein weiteres essentielles Element der jüdischen Geisteswelt ist.

Später studierte er die Lehren Jesu und der Apostel im Neuen Testament und auch die Kabbala, mit der man sich nicht vor dem vierzigsten Lebensjahr befassen sollte, da ihr Studium einen bestimmten Grad geistig-seelischer Reife voraussetzt. 

Und im Alter von sechzig Jahren zog er sich als Mönch auf den Mount Baldy bei Los Angeles zurück, auf dem in einer archaisch anmutenden Klosteranlage eine der strengsten Formen des Zen-Buddhismus gelehrt und praktiziert wird.

Doch ganz gleich, welche Wege er einschlug und studierte: Der Kern seiner Suche lag stets darin, die Gesetze zu verstehen, nach denen sich das Leben vollzieht und die unser Wesen und Sein ausmachen, und auch, was für ein Sinn in Dunkelheit, Leid und Schmerz liegt.

Und jede neue Erkenntnis, die ihm aufging, hat er seinem Song Hallelujah als neue Strophe hinzugefügt, bis er am Ende sage und schreibe 180 Strophen umfasste. Die erste, "Ive heard there was a secret chord", sang er immer als Einleitung; doch dann hat er jedes Mal neue und andere verwendet, die gerade an diesem Abend und bei diesem Konzert nach seinem Empfinden passend waren.

Der zweite wesentliche Aspekt, der Leonard Cohen bis zum Ende seines Schaffens und Seins begleitet hat, lag in dem Versuch, in der glühenden Verherrlichung, ja Anbetung von Frauen einen Widerschein Gottes zu spüren. Denn neben seinem lebenslangen Streben nach Erkenntnis war er überzeugt davon, dass er in der körperlichen Vereinigung mit einer Frau Gott am nächsten kam.

Seiner Auffassung nach diente er Gott dann am Aufrichtigsten und Wahrhaftigsten, wenn er einer Frau als Liebhaber diente; und so sah er sich quasi als Hohepriester der Frauen und des Liebesaktes. Und genau das kommt genau in den Songs zum Ausdruck, die ich vorher erwähnt habe, Dance Me to the End of Love, A Thousand Kisses Deep, und natürlich auch in Hallelujah. 

Aus seiner tiefen, rauchigen Stimme, die sich nur um wenige Töne bewegt, spricht tiefe, glühende Leidenschaft für die Frau an sich und für den Akt der Liebe, eine Leidenschaft, die gleich der Glut eines Kohlenmeilers in ihm lohte und ihn verzehrte, bis in sein letztes bisschen Knochenmark hinein...

Ob dies recht, gut und richtig ist? Darüber kann und will ich mir kein Urteil anmaßen. Doch es war sein persönlicher Weg zur Erkenntnis und zum Göttlichen, und ohne Frage war sein Anliegen und Streben aufrichtig, wahrhaftig und tief.

Genau das haben seine Fans und unter ihnen unzählige Frauen weltweit gespürt.



19.10.2024 - Mit einem Weltstar in der guten Stube - Sir Simon Rattle im Gespräch bei Ludwig Beck
Inzwischen ist es zwei Jahre her, seit Sir Simon Rattle endgültig das Pult gewechselt hat, von den Berliner Philharmonikern zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, nachfolgend BRSO genannt. Obwohl man nicht behaupten kann, dass er eine ruhige Kugel schiebt - in diesem Jahr hat er das "Rheingold", die "Walküre" und den "Siegfried" von Wagner aufgenommen, nagt sich mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern durch den Mahler-Zyklus und steckt gerade mitten in den Proben zu Mahlers Siebter Symphonie -, wird sein Tun und Schaffen bei uns vom Auge und Ohr der Öffentlichkeit nicht ganz so scharf und kritisch verfolgt wie zuvor in Berlin. Am Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit besuchte Sir Simon Rattle mit Anne Schoenholtz aus der Reihe der ersten Geigen als Interviewpartnerin die kleine feine Musikbühne des Ludwig Beck am Marienplatz, um von den Eindrücken zu erzählen, die er bei der Arbeit mit seinem neuen Orchester und im Zuge seines Aufenthaltes in München gewonnen hat; und natürlich auch, um seine Aufnahmen von Wagner sowie von Mahlers Sechster und Neunter Symphonie und dessen "Lied von der Erde" vorzustellen.


Mit einem Weltstar in der guten Stube - Sir Simon Rattle im Gespräch bei Ludwig Beck


Inzwischen ist es zwei Jahre her, seit Sir Simon Rattle endgültig das Pult gewechselt hat, von den Berliner Philharmonikern zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, nachfolgend BRSO genannt.

Obwohl man nicht behaupten kann, dass er eine ruhige Kugel schiebt - in diesem Jahr hat er das Rheingold, die Walküre und den Siegfried von Wagner aufgenommen, nagt sich mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern durch den Mahler-Zyklus und steckt gerade mitten in den Proben zu Mahlers Siebter Symphonie -, wird sein Tun und Schaffen bei uns vom Auge und Ohr der Öffentlichkeit nicht ganz so scharf und kritisch verfolgt wie zuvor in Berlin.

Am Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit besuchte Sir Simon Rattle mit Anne Schoenholtz aus der Reihe der ersten Geigen als Interviewpartnerin die kleine feine Musikbühne des Ludwig Beck am Marienplatz, um von den Eindrücken zu erzählen, die er bei der Arbeit mit seinem neuen Orchester und im Zuge seines Aufenthaltes in München gewonnen hat; und natürlich auch, um seine Aufnahmen von Wagner sowie von Mahlers Sechster und Neunter Symphonie und dessen Lied von der Erde vorzustellen.

Obwohl Anne Schoenholtz, die in ihrem eigenen Podcast mit Erlaubnis ihrer Kolleginnen und Kollegen aus dem Näh- oder in diesem Fall Geigenkästchen plaudert, das Gespräch in deutscher Sprache führte und Sir Simon auf Englisch antwortete, kam nie der Eindruck einer Barriere zwischen ihnen auf.

Vielmehr habe ich selten eine Mitarbeiterin gesehen, die in der Gegenwart ihres Chefs so entspannt und gelassen wirkt wie sie, und das nicht nur, um im Licht der Öffentlichkeit ein positives Bild abzugeben. Man glaubt ihr, wenn sie sagt, dass sie einen sympathischen und freundlichen Chef hat.

Denn Sir Simon Rattle bestätigt ihre Worte allein, indem er ebenso entspannt und gelassen ihr auf seinem Stuhl gegenübersitzt. Den Klang seiner tiefen, melodischen Stimme kann man gut und gern als Schokolade für die Ohren bezeichnen; und mit seiner ruhigen, von Wärme und trockenem Humor geprägten Art zu reden erweckt er den Eindruck, als säße er mit seiner Geigerin zu Hause auf dem Sofa und würde mit ihr ein wenig plaudern.

So erzählt er, dass er das BRSO zum ersten Mal im Alter von fünfzehn Jahren erlebte, als es mit Eugen Jochum auf einer Auslandstournee in seiner Heimatstadt Liverpool gastierte; und dass dieses Erlebnis ihn in dem Entschluss bestärkte, Dirigent zu werden. Damals sei er weit davon entfernt gewesen, zu ahnen oder sich auch nur vorzustellen, dass er eines Tages das Pult genau dieses Orchesters übernehmen werde.

Auch lässt er Gastkollegen, von deren Können er überzeugt ist, dann und wann mit seinen Orchestermusikern schalten und walten und stellt bei einer Probe erstaunt fest, dass ihr Spiel eine reifere und tiefere Klangqualität als vorher gewonnen hat - um zu erfahren, dass sie vorher mit Bernard Haitink Mozart gespielt haben, worauf ihm alles klar ist und er keine weiteren Fragen mehr stellt...

Besonders begeistert wirkt er, wenn er von seiner Reise mit der Bläser-Sektion des BRSO durch Bayern berichtet, auf der Suche nach Blaskapellen nicht nur in Städten, sondern auch in kleineren Gemeinden auf dem Land; eine Umgebung und eine Atmosphäre, die er als Stadtmensch vorher nicht kannte.

Mit Wärme und Freude schildert er den herzlichen Empfang, den die Blaskapellen ihm und seinen Musikern an jedem Ort bereitet haben, und dass der Tag in dem vom Kapellmeister empfohlenen Gasthaus endete. Seine erste Geigerin Anne Schoenholtz ergänzt hierzu, dass nach der Probe der Abend meist genussvoll und fröhlich verlief und sich manchmal recht lange hinzog, bis am nächsten Morgen der Tourbus zu seiner nächsten Station aufbrach.

Übrigens hat er vor, im nächsten Frühjahr und Sommer wieder durch Bayern zu reisen, diesmal mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks auf der Suche nach hörenswerten Chören, um die besten von ihnen nach München einzuladen und zu präsentieren. Nach seiner Ankündigung dürfte in unseren Dörfern und Städten ein Ruck durch alle Chöre gehen, und die freudige Erwartung, die fortan bei ihren Proben und Vorbereitungen mitschwingt, dürfte dem Summen und Brummen eines Bienenstocks ähneln...

Und wenn Sir Simon klarstellt, dass er sich bei der Wahl und Zusammenstellung der Werke für seine Symphonie- und Opernprogramme vom Management nicht hineinreden lässt und als bekräftigendes Beispiel erwähnt, dass ein Chefkoch es auch nicht gerne hat, wenn sich irgendwer in die Küche stellt und mit herumzuhantieren anfängt, während der Chef am Herd schaltet und waltet, gewinnt man bei seinem Anblick den Eindruck, dass er den Freuden des guten Essens und Trinkens bzw. des Lebens an sich nicht abgeneigt ist.

Dass er in der Mezzosopranistin Magdalena Kočena nicht nur eine an den Konzert- und Opernbühnen Europas gefeierte Sängerin, sondern auch eine Augenweide zur Ehefrau hat, mag zu der Ausstrahlung in sich ruhender Zufriedenheit beitragen, die von ihm ausgeht...

Bleibt uns zu wünschen, dass Sir Simon Rattle weiterhin und noch lange voller Schaffenskraft schalten und walten und umsetzen kann, was er sich vorgenommen hat!

Wenn man ihm Glauben schenken darf, dass es ihm in der Musikabteilung des Ludwig Beck gefällt, weil ihn das Stöbern in CDs, DVDS und Schallplatten mit Nostalgie erfüllt und München nach seinem Empfinden überhaupt noch mehr Raum für Nostalgie als viele andere Städte lässt, scheint er sich zumindest bei uns wohlzufühlen und angekommen zu sein...



19.10.2024 - Ein Kitzeln im Herzen - Klezmer-Musik
Im Dunkeln glimmt ein tiefer, warmer Ton auf und beginnt sich auszudehnen wie bei einem Glasbläser, der mit seinem Rohr einem Glutklumpen seinen Atem einhaucht, ihn zu einer gleichmäßig runden Form aufbläst. In diesen Ton mischt sich leises Seufzen, das in Weinen und Klagen übergeht, von unsagbarem Schmerz und Leid erfüllt. Aus dunkler Glut und Wehklage formt sich ein Rhythmus, als würde sich jemand vom Boden aufrappeln und mit mühsamen Schritten vorwärts wanken; einer, der in schwere Ketten gefesselt ist, die ihm jeden Schritt zur Qual machen... Nach und nach wird der Rhythmus sicherer und bestimmter; aus dem Wanken wird ein festes Auftreten und Schreiten. Dann beginnt der Jemand zu tanzen und zieht allmählich im Tempo an. Plötzlich ein hohes helles Quieken! Wo vor einem Augenblick noch Weinen und Klagen war, erhebt sich ein Plaudern und Erzählen, Tuscheln und Kichern. Und dann sprudeln Melodie und Rhythmus querbeet los und schäumen über... So in etwa klingt es und fühlt es sich an, wenn ein Klezmer Klarinette spielt. Wer diese Töne je gehört hat, jene Mischung aus abgrundtiefem Leid und quirlig-ausgelassener Heiterkeit, die man auf Jiddisch "a tikele im hartz", ein Kitzeln im Herzen nennt, hat den Eichstrich auf der Messlatte gefunden, an dem sich die Klarinettisten dieser Welt zu messen versuchen und doch nie an ihn herankommen


Ein Kitzeln im Herzen - Klezmer-Musik


Im Dunkeln glimmt ein tiefer, warmer Ton auf und beginnt sich auszudehnen wie bei einem Glasbläser, der mit seinem Rohr einem Glutklumpen seinen Atem einhaucht, ihn zu einer gleichmäßig runden Form aufbläst. In diesen Ton mischt sich leises Seufzen, das in Weinen und Klagen übergeht, von unsagbarem Schmerz und Leid erfüllt.

Aus dunkler Glut und Wehklage formt sich ein Rhythmus, als würde sich jemand vom Boden aufrappeln und mit mühsamen Schritten vorwärts wanken; einer, der in schwere Ketten gefesselt ist, die ihm jeden Schritt zur Qual machen... Nach und nach wird der Rhythmus sicherer und bestimmter; aus dem Wanken wird ein festes Auftreten und Schreiten. Dann beginnt der Jemand zu tanzen und zieht allmählich im Tempo an.

Plötzlich ein hohes helles Quieken! Wo vor einem Augenblick noch Weinen und Klagen war, erhebt sich ein Plaudern und Erzählen, Tuscheln und Kichern. Und dann sprudeln Melodie und Rhythmus querbeet los und schäumen über...

So in etwa klingt es und fühlt es sich an, wenn ein Klezmer Klarinette spielt. Wer diese Töne je gehört hat, jene Mischung aus abgrundtiefem Leid und quirlig-ausgelassener Heiterkeit, die man auf Jiddisch "a tikele im hartz", ein Kitzeln im Herzen nennt, hat den Eichstrich auf der Messlatte gefunden, an dem sich die Klarinettisten dieser Welt zu messen versuchen und doch nie an ihn herankommen. 

Es schadet nicht, wenn eine diatonische Ziehharmonika dazu den Klangteppich und ein paar melodische Verzierungen beisteuert und eine Bass-Balalaika den akzentuierten, treibenden Rhythmus pumpt, der die Zuhörerinnen und Zuhörer in Atem hält und ihnen das Stillstehen erschwert.

Genau diese Mischung bekam ich an einem späten Nachmittag in der kleinen Passage vor dem Ludwig Beck neben dem Marienplatz zu hören, als dort nach längerer Abwesenheit das Klezmer-Trio Freilach aufspielte, das früher öfters in München gastierte, von dem ich aber gute drei Jahre lang nichts mehr gesehen und gehört habe - bis auf das eine Mal im Innenhof der ehemaligen Zoll- und Füllhalle, beim Markt der Sinne auf der Praterinsel.

Etwas an der jüdischen Musik hat mich seit jeher angezogen. Sind es die quirligen, rasanten Rhythmen? Ist es das mal sehnsüchtige Klagen und Flehen und dann wieder das Plaudern und Kichern der Melodien, die auf pentatonischen Tonleitern beruhen, mal schräg und wild, mal dem Ohr und Empfinden seltsam vertraut, als gäbe es sie schon seit Tausenden von Jahren?

Dieser Eindruck des Ohrs und des Empfindens täuscht nicht.

König David aus dem Alten Testament, der den Grundstein zum Tempel von Jerusalem legte, hat bereits 1.000 Jahre vor Christi Geburt Harfe gespielt und gesungen, Psalmen gedichtet und komponiert, und beileibe nicht er allein. Sprich, viele Rhythmen und Melodien der jüdischen Musik stammen tatsächlich aus uralter Zeit.

Als der babylonische Kaiser Nebukadnezar Israel besiegte und sich zu seinem neuen Herrscher ausrief und später die Römer das Land belagerten und dem Imperium Romanum einverleibten, schwand die Macht der Könige Israels in ihrem eigenen Land, bis 79 n.Chr. das einstige Reich endgültig zerschlagen und der Tempel von Jerusalem zerstört wurde. Von ihm blieb nur noch der Mauerrest übrig, der seither Klagemauer genannt wird.

Mit der Zerstörung des Tempels Jerusalems und weiter Teile der Stadt begann die Odyssee des jüdischen Volkes, das sein Land in Scharen verließ, in die Welt hinaus wanderte und sich in zwei große Hauptstämme aufteilte:

Die Sephardim siedelten sich in Spanien und Portugal an, wo sie zur Zeit des Kalifats, d.h. vom Anfang des 11. bis Anfang des 15. Jahrhunderts, neben den islamischen Mauren zu Geltung und Ansehen gelangten. Doch auf die Befreiung der iberischen Halbinsel von der Herrschaft der Mauren und die Rückkehr des Christentums folgte ein Pogrom, dem viele Sephardim zum Opfer fielen, während die Überlebenden nach Italien und Frankreich flohen und sich dort neu ansiedelten. So hat es sich ergeben, dass Ladino, die Verkehrssprache der Sephardim, zu gut siebzig Prozent aus Spanisch besteht; der Rest ist Hebräisch mit ein paar Einsprengseln aus dem Italienischen und Französischen.

Die Ashkenazim zogen in die Gebiete, die zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörten, und ließen sich u.a. in Köln, Frankfurt, Augsburg, Nürnberg und Regensburg nieder. Seit der Zeit Karls des Großen gelangten auch sie in den Gebieten des Deutschen Reiches zu Geltung und Ansehen - bis 1348 die erste große Pestepidemie der Neuzeit ausbrach und sich über ganz Europa ausbreitete. Da die Menschen der damaligen Zeit über Krankheitserreger und Ansteckungsquellen nichts wussten, suchten sie einen Verursacher dieser verheerenden, todbringenden Krankheit und fanden sie in den Juden als angebliche "Brunnenvergifter".

So kam es in den Territorien, die zum Deutschen Reich zählten, zu Pogromen, vor denen viele Ashkenazim gen Osten flohen und sich in Böhmen und Polen, in der Ukraine und in Russland neu ansiedelten und bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts dort blieben. So hat es sich ergeben, dass Jiddisch, die Verkehrssprache der Ashkenazim, zu siebzig Prozent aus Deutsch besteht; der Rest ist Hebräisch mit ein paar Einsprengseln aus dem Polnischen und Russischen.

In den jüdischen Gemeinden Osteuropas, die in Wien, Budapest, Prag, Krakau, Kiew und St. Petersburg ihre eigenen Viertel hatten, entstand im 15. Jahrhundert die Bewegung der Chassidim, die begannen, sich Gott abseits der Gottesdienste in den Synagogen auf eigene Weise zu nähern; meist in Musik und Tanz, so wie es einst König David und seine Hofleute getan hatten.

Die Melodien und Rhythmen fanden sie in ihrer Nachbarschaft. So lernten die chassidischen Musiker und Tänzer in Rumänien die getragen-feierliche Hora kennen, in Ungarn den feurigen Csardas, in Böhmen die wirbelnde Kalamajka, in Russland den rasanten Kasatschok, und vermengten diese Tänze mit ihren Überlieferungen aus dem alten Israel.

Aus all diesen Einflüssen entstand eine Rhythmik und Melodik, die bis auf den heutigen Tag zündet und mitreißt; und so gingen aus den musikalischen Grundlagen der Chassidim Lieder wie Havenu Shalom Alejchem, Havah Nagila oder Lo Hashem Na Jivne Bayis hervor, die bis heute auf Hochzeiten, Beschneidungen und Bar-Mizwahs gesungen und gespielt werden und zu denen im großen Reigen getanzt wird.

Gemeinsam haben diese Tanzlieder den bedächtigen und zugleich akzentuierten Beginn, wenn sich die Tänzer in den Armbeugen ihrer Nachbarn einhaken oder ihnen beide Arme auf die Schultern legen und zu schreiten beginnen, seitwärts, überkreuz, wieder seitwärts, mit leicht gebeugtem Knie zurück; und wieder seitwärts, überkreuz, seitwärts, mit leicht gebeugtem Knie zurück usw.

Haben die Tänzer in die Schritte und den Rhythmus gefunden, ziehen die Musiker im Tempo an, langsam, aber mit mehr Schwung und Akzent als vorher, dann schneller und immer schneller, bis sich die Kette der Tanzenden wirbelnd durch den Raum windet...

Und so ist die Musik entstanden, die heute unter dem Begriff "Klezmer" bekannt ist und ein weites Feld abdeckt. Bis sich Ende des 19. Jahrhunderts in Russland und der Ukraine unter dem Dekret des Zaren wieder Pogrome erhoben und die Ashkenazim aufs Neue in Scharen flohen, diesmal über den Großen Teich in die USA oder nach Chile und Argentinien. 

In den USA stießen die Klezmer aus Osteuropa auf die Jazzrhythmen und Melodien der Afro- Amerikaner, griffen sie auf und mengten die Rhythmen und Melodien ihrer Überlieferungen darunter. Hieraus entstand der Ragtime und Swing der 1930er und 1940er Jahre, mit dem die Big Bands von Benny Goodman und Glenn Miller in den Ballsälen an der Ostküste ihre Gäste von den Stühlen rissen und auf die Tanzfläche trieben, die Stimmung anheizten und zum Sieden brachten...

Als nach dem Zweiten Weltkrieg seitens der Weißen Rock n Roll und Beat und seitens der Schwarzen Rhythm n Blues und Soul Einzug hielten und jahrzehntelang dominierten, geriet die Klezmer-Musik aus Osteuropa geraume Zeit in Vergessenheit.

Doch zu Beginn der 1980er Jahre verließ Giora Feidman seinen Posten als erster Klarinettist des Israel Philharmonic Orchestra und ging nach Argentinien, wo er sich mit einem Sextett zusammenschloss. Mit dem Sexteto Mayor spielte Giora Feidman zuerst Tango-Melodien, bis er sich auf sein Klezmer-Erbe besann und es mit seiner Klarinette erneut zm Vorschein brachte, was ihn und sein Ensemble immer wieder auf Reisen rund um die Welt führen sollte...

Parallel zu Giora Feidman und dem Sexteto Mayor, aber unabhängig von diesen Musikern entdeckten amerikanische Studenten jüdischer Herkunft am Konservatorium von Boston, in Harvard und am Curtis Institute in Philadelphia Schallplattenaufnahmen in den Archiven, die ihre Großeltern aus Polen, der Ukraine oder Russland mitgebracht hatten. Oft gab es nur diese Aufnahmen und keine Noten, da die Klezmer ihre Melodien meist nach Gehör spielten und weitergaben; und viele Stücke hießen einfach Freilach, d.h. "etwas Fröhliches" oder Nigun, d.h. "Weise".

Dies machte es den Studenten alles andere als leicht, all diese Freilachs und Nigunim in Noten festzuhalten und zu katalogisieren, zudem sie oft nur nach dem Land oder der Stadt benannt waren, wo man sie zum ersten Mal gespielt und gehört hatte. Hätten diese College-Studenten die Musik ihrer Großeltern nicht ausgegraben und in Gruppen wie der Klezmer Conservatory Band und The Klezmatics wieder zu spielen begonnen, wüsste heute in den USA und weltweit niemand mehr davon.

In Europa hat sich am meisten von dieser Musik in Tschechien, vor allem in Prag gehalten, wo man sie heute noch oft hört; meist auf der Karlsbrücke, dem Altstädter Ring oder dem Kleinseitner Platz.

Bei uns in Deutschland war es in den letzten Jahren – genau gesagt, seit 1994 - Andrea Pancur, die als Nicht-Jüdin zusammen mit gleichgesinnten Musikern bei einem Konzert der israelischen Sängerin Chava Alberstein die Schätze der jüdischen Musik entdeckte und das Erbe der Klezmer auf ihre Weise fortführte. Andrea Pancur, die in München aufwuchs und deren Eltern aus Slowenien stammten, wo man Klezmer-Musik früher noch oft hörte, studierte u.a. bei Naomi Isaacs und Ingrid Zacharias Gesang und gründete 1994 die Klezmer-Formation Massel-Tov.

Ab 2003 besann sie sich als geborene Münchnerin zunehmend auf ihre bayerischen Wurzeln und begann mit dem lettischen Arrangeur und Akkordeonisten Ilya Shneyveys zusammenzuarbeiten, der zugleich ihr Lebensgefährte wurde. Gemeinsam mit Ilya Shneyveys am Akkordeon, Christian Dawid an der Klarinette, Alex Haas am Kontrabass und Guy Schalom am Schlagzeug gründete sie die neue Formation Alpenklezmer.

Mit diesem Ensemble gelang es Andrea Pancur nicht nur, die Klezmer-Musik mit Tänzen und Weisen aus Oberbayern zu einer neuen Legierung zu verschmelzen, sondern auch, mit dieser neuen, ungewohnten, aber durchaus nicht abwegig klingenden Mischung die Herzen sowohl  des jüdischen als auch des nichtjüdischen Publikums zu gewinnen.

So hat sie die Lieder Aufm Markt in Obagiasing und Heabstliad auf Bayrisch gesungen; doch die Melodien dieser Lieder wurzeln eindeutig im Klezmer-Sound. Im Rhaynlender, der trotz seines Namens ein Tanz aus München ist und den sie auf Jiddisch singt, erzählt sie, wie einst der Großvater der Großmutter beim Tanzen einen Heiratsantrag machte, wie sie sich zuerst gegen seinen Antrag sträubte und ihm dann doch das Jawort gab. Und der Zwiefache Is do wos?, wiederum in reinem Bayrisch, ist ein verspielt-neckisches Scherzlied, das um die Sätze „Is do wos?“ und „Do is wos“ fast zungenbrecherische Ranken und Schnörkel häkelt…

In anderen Liedern wie Immer geht das Leben weiter oder Zum Meer kommt wiederum jene Mischung aus Melancholie und Lebensbejahung zum Vorschein, von der die jüdische Musik getragen wird und die auch Andrea Pancur in ihrer Stimme hatte.

Leider ist sie im August 2023 mit vierundfünfzig Jahren plötzlich und unerwartet in ihrer Münchner Wohnung verstorben. Doch als ich am Marienplatz das Klezmer-Trio Freilach hörte, kam sie mir wieder in den Sinn; und so widme ich ihr und ihrem musikalischen Schaffen und Streben diesen Artikel.



19.10.2024 - Das Sendlinger Hoftheater im Stemmerhof und "La Vie en Rose"
Im Lauf der letzten vier Jahre bin ich am Sonntag ab und zu in dem steirisch-österreichischen Restaurant ÖEins eingekehrt, das im Erdgeschoss der ehemaligen Scheune des Stemmerhofs liegt; und seit gut zwei Jahren sticht mir immer wieder der Schriftzug "Hoftheater" ins Auge, der sich zusammen mit dem Stück und dessen Spielzeit über den großen offenen Torbogen neben dem ÖEins zieht. Am letzten Samstag war es für mich soweit: Auf dem Programm stand "La Vie en Rose", eine Hommage an die Pariser Chanson-Legende Edith Piaf, die von der Sängerin und Schauspielerin Meike Fabian und ihrem Quartett getragen wurde. Und bei dem Namen Edith Piaf klingelt es bis heute in mir. (...) Gestärkt und frohen Sinnes zog ich weiter und bog in das mächtige Geviert des Stemmerhofs ein. Ich ging auf den hell erleuchteten halbrunden Bogengang zu, über dem in Großbuchstaben "Theater" geschrieben steht, so dass der rechte Weg nicht zu verfehlen ist. Die Treppe, die gleich nach dem Eingang zu den oberen Stockwerken hinauf führt, wurde ganz aus Holz gezimmert; ihre Stufen knarren und ächzen unter jedem Schritt. Im ersten Obergeschoss führt links eine Tür zu dem Maleratelier von Jonathan Gordon, der hier immer wieder einmal seine neuesten Werke ausstellt; und nach rechts geht es zu einem Vorraum, der, klein und dunkel wie er ist, einer Höhle ähnelt; sprich, zur Abendkasse und Garderobe des Sendlinger Hoftheaters. Die Abendkasse, an der man eine Stunde vor der Vorstellung locker noch Tickets bekommt, wird von einer Dame Ende Zwanzig/Anfang Dreißig bedient. Die Garderobe kostet nichts; allerdings besteht sie nur aus einer Stange und vielen Bügeln, an denen man Jacken oder Mäntel selbst aufhängt. Ihre gleichaltrige Kollegin kontrolliert am Eingang zum Theatersaal die Tickets und weist den Gästen die Reihen bzw. Plätze zu, die noch frei sind und der gebuchten Kategorie entsprechen. Der tiefste Punkt im Saal ist die Bühne, noch kleiner als beim Metropol-Theater in Freimann und nur durch eine leicht erhöhte Plattform von den Stuhlreihen im Parkett getrennt. Das heißt, eine Bühnenrampe gibt es hier nicht, auch keinen Vorhang, wohl aber eine Tür in der linken Wand, die zu dem Raum führt, der den Künstlern vor ihrem Auftritt vorbehalten ist. Die Plätze im Parkett vor und rechts neben der Bühne und an der umlaufenden Brüstung des ersten Rangs sind der ersten Kategorie vorbehalten; alle weiteren Sitzreihen, auch die im zweiten Rang unter der Dachschräge, gehören in die zweite Kategorie. So klein die Bühne ist, bietet sie dennoch genügend Platz für ein Klavier an der linken Wand vor dem Künstlereingang, einen Kontrabass rechts vom Klavier an der gemauerten Hinterwand des Dachstuhls, zwei weitere Stühle in derselben Reihe, vorne in der Mitte einen hohen und ein niedrigeren Barhocker, und vor jedem Stuhl bzw. Hocker ein Mikrophon. Die Betreiberinnen des Sendlinger Hoftheaters verstanden es, ihre Bühne mit den wenigen Mitteln, die noch Platz fanden, stimmungsvoll einzurichten. Vor jedem Stuhl mit Mikrophon stand eine Bodenvase aus Messing mit einem Strauß dunkelroter Rosen, und die runden Scheinwerfer an der Decke tauchten Bühne und Zuschauerraum in kleine pinkfarbene Lichtkegel, um die herum tiefe Schatten nisteten.


Das Sendlinger Hoftheater im Stemmerhof und "La Vie en Rose"


Für mich hat es einen besonderen Reiz, vom Harras aus der rechten Seite der Plinganserstraße zu folgen und von diesem Hügelgrat, der sich durch das alte Sendling zieht, in die Hinterhöfe zu blicken, zu denen eine kleine winklige Treppe oder eine steile Gasse hinab führt; und gerne sehe ich auf meinem Spaziergang zum Zwiebelturm der alten Sendlinger Pfarrkirche hinüber, hinter der sich der kleine grüne Park mit dem Denkmal des Schmieds von Kochel erhebt.

Im Lauf der letzten vier Jahre bin ich am Sonntag ab und zu in dem steirisch-österreichischen Restaurant ÖEins eingekehrt, das im Erdgeschoss der ehemaligen Scheune des Stemmerhofs liegt; und seit gut zwei Jahren sticht mir immer wieder der Schriftzug "Hoftheater" ins Auge, der sich zusammen mit dem Stück und dessen Spielzeit über den großen offenen Torbogen neben dem ÖEins zieht.

Am letzten Samstag war es für mich soweit: Auf dem Programm stand La Vie en Rose, eine Hommage an die Pariser Chanson-Legende Edith Piaf, die von der Sängerin und Schauspielerin Meike Fabian und ihrem Quartett getragen wurde. Und bei dem Namen Edith Piaf klingelt es bis heute in mir...

Also verschaffte ich mir über das Internet ein Ticket für die zweite Kategorie zum Preis von € 26,--.
Die erste Kategorie kostet € 30,--, doch wie im Werk 7-Theater im Werksviertel und im Metropol  in Freimann gibt es auch im Sendlinger Hoftheater keine nummerierten Plätze.

Da ich damit rechnete, dass das ÖEins vor Beginn der Vorstellung brummen würde, so dass es dort eng, wenn nicht überfüllt zuging, kehrte ich zur Stärkung für meine Theaterpremiere diesmal im Sendlinger Balkantreff ein, den ich mittlerweile ebenfalls gut kenne und der nur wenige Häuser vor dem Stemmerhof auf der linken Seite der Plinganserstraße liegt.

Zu diesem Restaurant, das sich der serbischen Küche widmet, gehört ein kleiner Wirtsgarten mit Tischen und Bänken, die das ganze Jahr hindurch mit Tannenzweigen und Lichterketten geschmückt sind, und ein noch kleineres Häuschen, das mit seinem rosa Anstrich, seinen dunkelgrünen Fensterläden und seinem spitzen Giebel unter dem Schindeldach einen schmucken Anblick bietet und sich im hinteren Ende des Wirtsgartens versteckt.

Die Innenausstattung besteht aus zwei großen Eckbänken und zwei kleinen Tischen aus schlicht aber solide gezimmertem Holz; und an einem der kleinen Tische quartierte ich mich zum Abendessen ein.

Auch wenn ich unter der Woche überwiegend vegetarisch lebe, überkommen mich dann und wann Gelüste nach deftig Gegrilltem aus der Pfanne; und hierfür ist der Balkantreff die richtige Adresse.Mit einer Handvoll čevapčiči und einen Schaschlikspieß - eine Kombination, die hier Pola Pola heißt und mit roten Zwiebeln, Ajwar und Pommes frites oder Djuvecreis serviert wird - macht man hier nichts verkehrt.

Im Sendlinger Balkantreff habe ich eine Köstlichkeit kennengelernt, der ich bisher in keiner anderen Gaststätte begegnet bin: eine Kreuzung zwischen einem Brötchen und einem Kuchen, die in der Konsistenz des Teiges einem britischen Scone ähnelt, aber aus Maismehl gebacken wird.

Diese Kreuzung zwischen Brötchen und Kuchen schmeckt nicht süß, sondern salzig, da das Maismehl mit klein geschnittenem Käse vermengt wird; und nach dem Backen wird das zu einem Oval aufgewölbte Endergebnis mit edelsüßem Paprika überstäubt. Und ich kann schwören, dass zu diesem salzigen, noch warmen Maisbrötchen nichts besser schmeckt als eine große Tasse heiße Schokolade!

Gestärkt und frohen Sinnes zog ich weiter und bog in das mächtige Geviert des Stemmerhofs ein. Ich ging auf den hell erleuchteten halbrunden Bogengang zu, über dem in Großbuchstaben "Theater" geschrieben steht, so dass der rechte Weg nicht zu verfehlen ist.

Die Treppe, die gleich nach dem Eingang zu den oberen Stockwerken hinauf führt, wurde ganz aus Holz gezimmert; ihre Stufen knarren und ächzen unter jedem Schritt. Im ersten Obergeschoss führt links eine Tür zu dem Maleratelier von Jonathan Gordon, der hier immer wieder einmal seine neuesten Werke ausstellt; und nach rechts geht es zu einem Vorraum, der, klein und dunkel wie er ist, einer Höhle ähnelt; sprich, zur Abendkasse und Garderobe des Sendlinger Hoftheaters.

Die Abendkasse, an der man eine Stunde vor der Vorstellung locker noch Tickets bekommt, wird von einer Dame Ende Zwanzig/Anfang Dreißig bedient. Die Garderobe kostet nichts; allerdings besteht sie nur aus einer Stange und vielen Bügeln, an denen man Jacken oder Mäntel selbst aufhängt. Ihre gleichaltrige Kollegin kontrolliert am Eingang zum Theatersaal die Tickets und weist den Gästen die Reihen bzw. Plätze zu, die noch frei sind und der gebuchten Kategorie entsprechen.

Der tiefste Punkt im Saal ist die Bühne, noch kleiner als beim Metropol-Theater in Freimann und nur durch eine leicht erhöhte Plattform von den Stuhlreihen im Parkett getrennt. Das heißt, eine Bühnenrampe gibt es hier nicht, auch keinen Vorhang, wohl aber eine Tür in der linken Wand, die zu dem Raum führt, der den Künstlern vor ihrem Auftritt vorbehalten ist. Die Plätze im Parkett vor und rechts neben der Bühne und an der umlaufenden Brüstung des ersten Rangs sind der ersten Kategorie vorbehalten; alle weiteren Sitzreihen, auch die im zweiten Rang unter der Dachschräge, gehören in die zweite Kategorie.

So klein die Bühne ist, bietet sie dennoch genügend Platz für ein Klavier an der linken Wand vor dem Künstlereingang, einen Kontrabass rechts vom Klavier an der gemauerten Hinterwand des Dachstuhls, zwei weitere Stühle in derselben Reihe, vorne in der Mitte einen hohen und ein niedrigeren Barhocker,  und vor jedem Stuhl bzw. Hocker ein Mikrophon.

Die Betreiberinnen des Sendlinger Hoftheaters verstanden es, ihre Bühne mit den wenigen Mitteln, die noch Platz fanden, stimmungsvoll einzurichten. Vor jedem Stuhl mit Mikrophon stand eine Bodenvase aus Messing mit einem Strauß dunkelroter Rosen, und die runden Scheinwerfer an der Decke tauchten Bühne und Zuschauerraum in kleine pinkfarbene Lichtkegel, um die herum tiefe Schatten nisteten.

Da dieses winzige Theaterchen auf Distanz zwischen den Zuschauern im Parkett und dem Geschehen auf der Bühne verzichtet, hat es mit den roh gemauerten Ziegelwänden des Dachstuhls und den hölzernen Dachschrägen etwas Uriges, das sofort Behagen einflößt, wozu auch die Bar an der rechten Wand des Zuschauerraums beiträgt, die auf gleicher Höhe mit dem ersten Rang liegt, in dem ich an diesem Abend saß.

Ich nützte die Gelegenheit, um mir bei der Dame hinter dem Tresen einen Prosecco Orange zu holen, den man vor der Vorstellung mitnehmen und am Platz schlürfen darf. So rasch und unkompliziert bin ich noch in keinem Theater zu einem Getränk gekommen!

Also genoss ich meinen Prosecco, brachte das Glas zur Bar zurück und stieg vor Beginn der Vorstellung auf der knarrenden, ächzenden Treppe einen Stock höher, zum Dachfirst des Stemmerhofs hinauf, in dem Daniela Paschke ihre Malschule und ihr Atelier eingerichtet hat und sich auch die Toiletten des Hauses befinden.

Dann kehrte ich rechtzeitig auf meinen Platz im Zuschauerraum zurück, bevor die pinkfarbene Beleuchtung im Saal erlosch und der große Flutlichtscheinwerfer die Bühne in seinen Lichtkegel tauchte. Die Musiker kamen und nahmen ihre Plätze ein: eine Geigerin, ein Akkordeonist, ein Kontrabassist und ein Pianist, der die Chansons für Meike Fabian und sein Quartett arrangiert hat.

Genau diese Instrumente, Klavier, Geige, Akkordeon und Kontrabass, sind für die Chansons der 1940er/1950er Jahre unerlässlich, um einem langsamen oder rasanten Walzer, einem Slowfox oder Quickstep das richtige Flair zu verleihen und das Publikum in die Zeit zu entführen, als Edith Piaf in Paris das Olympia eroberte und bei jedem Auftritt ihr Publikum fesselte und begeisterte.

Schließlich erschien Meike Fabian, die Sängerin, die mit dem Musikerensemble die Chansons für diesen Abend ausgewählt und erarbeitet hat. Sie strahlt Wärme und Unkompliziertheit aus; ihre ausgebildete, tragfähige Stimme klingt voll, warm und rund. Vom Anfang bis zum Ende ihres Auftritts hörte man in ihr die kultivierte Dame, der es dennoch gelang, ihrem Publikum nahe zu kommen.

Zu Beginn des Programms meinte ich noch eine Distanz zwischen ihr und den Chansons zu spüren. Doch als sie später aus den Tagebuchnotizen von Marlene Dietrich las, die Edith Piaf in den USA kennenlernte und zu einer ihrer besten Freundinnen wurde, und den Chanson sang, der zum Inhalt der Aufzeichnungen passte, wuchs sie...ich möchte nicht sagen, in die Piaf, aber in die Bedeutung und Tiefendimension ihrer Lieder hinein.

Meike Fabian hielt während des gesamten Abends Kontakt zu ihrem Publikum und hatte es auf einen bestimmten Mann im Parkett entweder abgesehen oder kannte ihn gut; denn während des Abends warf sie ihm immer wieder Blicke und Bemerkungen zu, von denen er geschmeichelt, wenn nicht gar angeregt wirkte...

Wenn sie auf die prägenden Stationen im Leben von Edith Piaf einging, spürte man ebenfalls Distanz; doch sobald sie aus den Aufzeichnungen der Dietrich oder der Piaf selbst las, lag in ihrer Stimme Wärme und Anteilnahme.

Wenn man weiß, dass zwei Menschen, die ihr mehr bedeutet haben als alle anderen - René Leplée, der sie nicht nur entdeckte und an sein Varieté holte, sondern auch der erste Mann in ihrem Leben war, der sich wie ein Vater um sie gekümmert hat, und der Boxweltmeister Marcel Cerdan, den sie in den USA kennenlernte und als die Liebe ihres Lebens bezeichnet hat - jäh aus dem Leben gerissen wurden, gewinnen Chansons wie Mon Dieu und Hymne à lAmour eine Tragik, die einem heute noch das Herz im Leib umdreht...

Alles in allem haben Meike Fabian und ihr Musiker-Quartett ihrem Publikum einen Abende voller Esprit und Charme und einen Ausflug in eine weit zurückliegende Zeit bereitet, die ganz anders war als unsere.


Wie es mir dabei erging?

Ich war von der Wärme und Nähe berührt, mit der sie ihre Chansons sang und ihre Musiker spielten. Und doch trat einmal mehr der Faktor zu Tage, der sich unweigerlich zeigt, wenn eine Interpretin in solch eine Rolle schlüpft und sie auszufüllen versucht:Meike Fabian hat die Geschichte der Piaf, ihre Art des Vortrages und den Gehalt ihrer Chansons intensiv studiert und sich damit auseinandergesetzt, daran besteht kein Zweifel.

Doch sie musste sich ihre Chansons nicht aus bitterer Armut und Verlorenheit, praktisch aus dem Nichts heraus erarbeiten, wie es bei der echten Edith Piaf der Fall war. Und leider sitzt einem die Stimme der Piaf mit im Ohr, wenn man sie einmal gehört hat; und so war es an diesem Abend auch bei mir:

Eine Stimme, mächtig und voluminös wie eine Glocke aus Eisenerz und Messing, die in den Tiefen donnert und grollt wie eine Gewitterwolke und in den Höhen mit ihrer durchdringenden Kraft sogar über die Posaunen und Trompeten eines Orchesters hinweg schmettert...

Eine Stimme, in deren Klang zugleich das Leben und Treiben einer Stadt mitschwingt. Irgendeine Stadt? Nein, jenes ewig brausende, ewig vorwärts drängende, in seiner Größe, Härte und Kälte furchteinflößende Etwas namens Paris, dessen Gesichter Edith Piaf alle kannte, die gnadenlosen, düsteren und bitteren ebenso wie die menschlichen, strahlenden und triumphierenden.

Und eine Stimme, die sich aus Dunkelheit und abgrundtiefem Schmerz ans Licht empor kämpft, die in ihren intensivsten Momenten eine markerschütternde Wucht anzunehmen vermag. In einem Chanson hat Edith Piaf die Wirkung ihrer Stimme in etwa so formuliert: "Es ist nicht allein meine Stimme, die singt; es ist eine Menge an Stimmen. Es ist die Stimme eines Vogels, der erfriert; die eines Kindes, das geohrfeigt wird; die eines Herzens, das zerschellt..."

Und genau das schwang in ihrer Stimme mit: das Leid der Verlassenen und Verlorenen dieser Welt und ihre flammende Anklage gegen ihr Leid und Unglück.

Doch einen Glauben ließ sie sich ihr Leben lang nicht nehmen: ihren unerschütterlichen Glauben an die Liebe als höchste und stärkste Macht auf Erden, deren Sieg sie schmetternd und triumphierend verkündete. Dies waren die Elemente, die Edith Piafs Leben bedingt haben und von denen sie sang.

Meike Fabian mag all dies begriffen und zum Teil übernommen haben. Doch sie hat es übernommen, es entsprang nicht ihrem eigenen Erleben und Empfinden; und darin liegt der Unterschied zwischen der Interpretin und dem Original, den man spürt, wenn man beide kennt und der sich einfach nicht leugnen lässt.

Dafür kann sie nichts, und sie und ihre Musiker haben ihre Sache an diesem Abend so gut gemacht, wie es irgend möglich war.

Andererseits ist das Original schon vor langer Zeit erloschen. Im Angesicht dieser Tatsache finde ich es bemerkenswert, dass über Jahre und Jahrzehnte hinweg junge Menschen immer wieder auf eine Sängerin/ einen Sänger stoßen, deren Musik, Schaffen und Streben sie für sich entdecken. Es liegt etwas darin, das sie packt und nicht mehr loslässt, bis sie beginnen, es umzusetzen und dem zu antworten, was diese Musik, dieses Schaffen und Streben in ihnen auslöst.

Durch das, was sie als Resultat ihrer Bemühungen über die Bühne bringen, entzünden sie die Fackel immer wieder aufs Neue, tragen sie weiter und sorgen dafür, dass die Legende dieser Sängerin/dieses Sängers nicht erlöscht.

In diesem Sinne gebührt Meike Fabian und ihrem Quartett großes Lob und Dank!