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Blog

Musik und Emotionen

Im Blog-Bereich „Weggefährten“ schildere ich u.a. meine Begegnungen mit wegweisenden Musikern des 20. Jahrhunderts...



Vorwort zu meinem Blog-Bereich „Musik oder Channeling?“ Im Blog-Bereich „Weggefährten“ schildere ich u.a. meine Begegnungen mit wegweisenden Musikern des 20. Jahrhunderts. Ich hätte sie auch im Bereich „Musik oder Channeling?“ unterbringen können; doch ihr Einfluss ging bei mir tiefer, dauerte länger an und tauchte immer wieder auf.

In „Musik oder Channeling?“ soll es um Musiker-/innen, Sängerinnen und Sänger gehen, die auf ihre ganz besondere Weise mehr waren und sind als musikalische Eintagsfliegen oder Pop- oder Schlager-stars, die man kurz kennt, die aber keine weiteren Hits mehr landen und ebenso schnell wieder in Vergessenheit geraten, wie sie gleich Raketen aus dem Boden senkrecht nach oben geschossen sind.

Eines haben all diese Musiker/-innen, Sängerinnen und Sänger gemeinsam: Wenn sie auf der Bühne stehen, scheinen sie etwas außerhalb ihrer selbst „herunterzuholen“ und durch sich strömen zu lassen, dienen nicht sich selbst, sondern dem, was sich durch sie hindurch ausdrücken will; deshalb die Überschrift „Musik oder Channeling?“.

Wenn auch Ihr solche Leute kennt oder gekannt habt, nur zu! Schreibt mir/uns davon!


14.09.2024 - Das "Klangfest" im Werksviertel
Vor 2020 fand das "Klangfest" immer am Pfingstsamstag in allen Sälen und auf allen Etagen des "alten" Gasteigs statt, während es nach der großen Zäsur ins Werksviertel umgezogen ist und in diesem Jahr auf den 7. September gelegt wurde, den Samstag vor dem Ende der Sommerferien in Bayern. Drei Aspekte des Klangfestes sind bis heute geblieben: 1. Von 14:00 bis 22:30 geben sich die Mitwirkenden an den Spielstätten quasi die Klinke in die Hand. Alle Musikerinnen und Musiker haben eine halbe Stunde Zeit, um ihre Stimmen und Instrumente an den Mikrophonen einzustellen und auszubalancieren, eine halbe Stunde Spielzeit und eine halbe Stunde, um die Bühne zu räumen und ihr Equipment mitzunehmen. Und alle spielen live, nichts, was man zu hören bekommt, ist Playback oder kommt aus einer Klangkonserve. 2. Bei allen Mitwirkenden, die in das Festivalprogramm aufgenommen wurden, handelt es sich um unabhängige, freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die alles selbst machen, nicht nur die Musik, sondern auch Konzert- und Tourneeplanung, Vertrieb und Marketing, und die nicht bei einem der drei großen Labels unter Vertrag stehen, denen heute so gut wie alles gehört, was sich "Musik" nennt. 3. Wie bisher sind alle Konzerte im Rahmen des Klangfestes kostenlos. Ich nehme an, dass die Auftretenden für ihren Gig eine Gage vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München bekommen, damit er sich für sie lohnt; aber entscheidend an diesem Musikfestival war und ist die Tatsache, dass es den Musikerinnen und Musikern an einem einzigen Tag ein größeres Forum und mehr Publikum bietet als sonst über Wochen und Monate hinweg. An dieser Stelle möchte ich den Aufnahmeleitern und Tontechnikern an den drei Spielorten, d.h. im Werk 7-Theater, im Technikum und in der Nachtkantine, für ihre Effizienz, Präzision und Schnelligkeit ein großes Lob aussprechen! Denn es ist eine gewaltige Leistung, binnen einer halben Stunde bei bis zu fünf Personen an fünf Mikrophonen alle Instrumente und Stimmen über das Mischpult auszubalancieren, so dass nicht nur jedes einzelne Instrument klar und deutlich zu hören ist, sondern auch der Raumklang als Ganzes stimmt. Und genau das hat - zumindest bei den Konzerten, die ich mitbekommen habe - diesmal bei allen Musikern reibungslos funktioniert!


Das Klangfest im Werksviertel

 

Vor 2020 fand das Klangfest immer am Pfingstsamstag in allen Sälen und auf allen Etagen des "alten" Gasteigs statt, während es nach der großen Zäsur ins Werksviertel umgezogen ist und in diesem Jahr auf den 7. September gelegt wurde, den Samstag vor dem Ende der Sommerferien in Bayern.
 

Drei Aspekte des Klangfestes sind bis heute geblieben:


1. Von 14:00 bis 22:30 geben sich die Mitwirkenden an den Spielstätten quasi die Klinke in die Hand. Alle Musikerinnen und Musiker haben eine halbe Stunde Zeit, um ihre Stimmen und Instrumente an den Mikrophonen einzustellen und auszubalancieren, eine halbe Stunde Spielzeit und eine halbe Stunde, um die Bühne zu räumen und ihr Equipment mitzunehmen. Und alle spielen live, nichts, was man zu hören bekommt, ist Playback oder kommt aus einer Klangkonserve.

2. Bei allen Mitwirkenden, die in das Festivalprogramm aufgenommen wurden, handelt es sich um unabhängige, freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die alles selbst machen, nicht nur die Musik, sondern auch Konzert- und Tourneeplanung, Vertrieb und Marketing, und die nicht bei einem der drei großen Labels unter Vertrag stehen, denen heute so gut wie alles gehört, was sich "Musik" nennt.

3. Wie bisher sind alle Konzerte im Rahmen des Klangfestes kostenlos. Ich nehme an, dass die Auftretenden für ihren Gig eine Gage vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München bekommen, damit er sich für sie lohnt; aber entscheidend an diesem Musikfestival war und ist die Tatsache, dass es den Musikerinnen und Musikern an einem einzigen Tag ein größeres Forum und mehr Publikum bietet als sonst über Wochen und Monate hinweg.

An dieser Stelle möchte ich den Aufnahmeleitern und Tontechnikern an den drei Spielorten, d.h. im Werk 7-Theater, im Technikum und in der Nachtkantine, für ihre Effizienz, Präzision und Schnelligkeit ein großes Lob aussprechen! Denn es ist eine gewaltige Leistung, binnen einer halben Stunde bei bis zu fünf Personen an fünf Mikrophonen alle Instrumente und Stimmen über das Mischpult auszubalancieren, so dass nicht nur jedes einzelne Instrument klar und deutlich zu hören ist, sondern auch der Raumklang als Ganzes stimmt. Und genau das hat - zumindest bei den Konzerten, die ich mitbekommen habe - diesmal bei allen Musikern reibungslos funktioniert!

Vom letzten Jahr sind mir die drei Spielstätten bestens vertraut; und bei diesem Klangfest ergab es sich, dass ich zwischen der Nachtkantine und dem Werk 7-Theater pendelte, aber um das Technikum einen Bogen machte. Dort hätte es Indie-Pop, Grunge- und anderen Rock gegeben, aber diese Musikrichtungen hätte ich auch anderswo in München hören können; und hinzu kommt, dass ich mit dem rau, karg und spartanisch aufgemachten Technikum einfach nicht warm zu werden vermag.

Ich wunderte mich, dass man den Knödelplatz zwischen dem Park-Hochhaus, der KPMG-Zentrale und dem Werk 3-Nukleus diesmal beim Klangfest außen vor gelassen hatte.

Zwar gab es auch dort eine Bühne, oder sagen wir lieber, eine Kreuzung zwischen einem Round Pen und einer transparenten Verpackungsblase; aber dieses Areal stand im Zeichen einer Rave-Party. Im Round Pen hatte sich ein tanzendes bzw. eher zuckendes Publikum im Alter zwischen 15 und 25 Jahren versammelt, aber was mich angeht, habe ich mich während des Nachmittags und Abends vom Knödelplatz ferngehalten.

Denn zum einen gab es hier im Gegensatz zu den Klangfest-Spielorten keine Live-Musik; der Knödelplatz gehörte eindeutig den Soundanlagen der DJs. Und zum anderen kam aus dem transparenten Round Pen keine Musik zu mir herüber, sondern nichts als "UMT – UMT - UMT" in einer Lautstärke und mit einer Wucht, die alle Böden und Fundamente des Werksviertels erbeben ließ, und das von 14:00 bis mindestens 22:30 (wahrscheinlich länger, aber zu dieser Zeit machte ich mich über die S-Bahn am Ostbahnhof vom Acker).

So leid es mir tut: Auch mit noch so vielen Rhythmus-Loops, Bässen und Subwoofern ist "UMT – UMT - UMT" für mich ein bisschen zu wenig, um als Musik durchzugehen...

Im Nachhinein wundert es mich, dass weder im Werk 7-Theater noch in der Nachtkantine etwas von dem ohrenbetäubenden Rave-Klangballon zu hören war. Obwohl beide Gebäude nicht allzu groß sind und schon ein paar Jahrzehntchen auf dem Buckel haben, sind das Mauerwerk und die Fundamente erstaunlich gut isoliert. Und bei den Stücken, die dort auf dem Programm standen, wurden die Instrumente und Stimmen zwar von Lautsprechern unterstützt, trumpften aber weder mit exzessiver Wucht noch Lautstärke auf.

Leider hatten die Akteure sowohl auf als auch gegenüber der Bühne von 14:00 bis ca. 18:30 unter der Tatsache zu leiden, dass der 7. September ein Hochsommertag mit Sonnenschein und Schwüle war. In den Gebäuden ließ es sich zwar dank der guten Isolierung und Belüftung aushalten; doch als Zuschauer/in musste man erst einmal von der Atelierstraße über das Werk 3-Gelände zu den Spielstätten laufen, und die Gebäude des Werksviertels spenden kaum Schatten. Auch hat man es bei allen Gebäuden mit Stahl und Plexiglas oder Beton und als Untergrund mit Asphalt, Kopfsteinpflaster und Stahlgleisen zu tun; alles Materialien, die sich aufheizen und die Hitze lange abstrahlen.

Was ich bei diesem Klangfest an Live-Konzerten mitgenommen habe?

Los ging es für mich um 14:15 in der Nachtkantine mit Izabella Effenberg und Esther Kaiser, die sich seit zwei Jahren zum Duo EsIza zusammengetan haben. Beide Damen hat man dem Jazz-Genre zugeordnet; aber ich meine, dass man ihre Musik eher als postmodern bezeichnen sollte. Denn bei ihnen taucht kein einziges Instrument auf, das meinereine mit Jazz assoziiert; keine Trompeten und Posaunen, kein Saxophon, kein Kontrabass, kein Klavier, kein Schlagzeug.

Während sich Izabella Effenberg auf die Kalimba (eine Art vertikales Xylophon aus Holz, das mit Metallklöppeln angeschlagen wird) und die Glasharfe (Gläser aus Bleikristall, die unterschiedlich hoch mit Wasser gefüllt sind und mit feuchten Fingerspitzen angestrichen werden) spezialisiert hat, übernimmt Esther Kaiser die Gesangsparts, wobei sie ihre Stimme nnicht wirklich zum Singen, eher als einen tönenden Klangkörper einsetzt und sich mit der aus Indien stammenden Shruti-Box begleitet, einer Art Bordun-Blasebalg, der im Bass-Schlüssel vor sich hin dröhnt, aber (gottlob!) nicht wie eine Great Highland Pipe mit Metallpfeifen versehen ist.

Die Stücke, die beide Damen für ihren Auftritt ausgewählt haben, würde ich auch nicht als Lieder, sondern eher als Tongemälde an der Grenze zu Mini-Symphonien bezeichnen; nur, dass es hier nicht den klassischen Aufbau Auftakt - Exposition - Klimax - Auflösung gibt. Ihre Tongemälde entstehen ungefähr so, als würde Wind am Rand eines Waldes entlang streichen oder Schnee von Ästen und Zweigen rieseln oder als würde ein Sturm um die Ecke eines freistehenden Hauses oder in einem großen Kamin heulen. Und richtig sind die Stücke ihres neuen Albums den Stimmungen von Tagen und Nächten im Herbst und Winter gewidmet.

Theoretisch und auch praktisch hätte ich danach den Spielort wechseln können; aber die Tatsache, dass Denise Herwig, die als nächste Künstlerin in der Nachtkantine auf dem Programm stand, allein auftritt, sich an der Gitarre und am Klavier selbst begleitet und ihre Lieder selbst schreibt, machte mich neugierig. Denn der Auftritt von Liedermacher/innen hat heutzutage schon Seltenheitswert; und wenn sich jemand im zarten Alter von zwanzig Jahren allein auf eine Bühne stellt und ihr eigenes Ding macht, gehört dazu mehr als nur eine Portion Mut.

Doch nicht nur, dass Denise Herwig sowohl ihre Gitarre als auch den Konzertflügel sicher und souverän im Griff hat; ihre tiefe, volle Stimme und die Tatsache, dass sie ihre Lieder selbst textet und komponiert, hat mich fern an Amy Winehouse erinnert, die sich leider mit siebenundzwanzig Jahren ins Nirwana gekickt hat. Auch die Themen, über die Denise Herwig singt, bewegen sich in derselben Sphäre wie bei ihrer früh verstorbenen Kollegin: die Komplexität und Kompliziertheit, die sich aus der Chemie zwischen Mann und Frau zuweilen ergibt, und welche Überraschungen und ungute Streiche diese Chemie mitunter zu Stande bringt.

So, wie Denise Herwig aussieht und sich gibt, hoffe ich für sie, dass sie in dem Kreis bleiben und wirken kann, den einst Amy Winehouse für sich und ihre Songs gewollt hatte: kleine, intime Bars und Clubs, wo Leute hingehen, die an guter, handgemachter Musik genauso interessiert sind wie an ihr als Mensch und Musikerin. Aber um Gottes Willen weder einen Weltstar-Hype noch Riesenhallen und -stadien; damit wäre sie genauso verratzt und verloren!

Nach einer Pause mit Kaffee, Apfelkücherl und Vanille-Eis im Riederstein-Biergarten, die mir leider zu einem Balanceakt mit drei Wespen geriet (wann wird es den Viechern endlich zu kalt, um zur Attacke zu blasen?), zog ich ins Werk 7-Theater um.

Auf dem Weg vom Portal zum Theatereingang fiel mir zum ersten Mal das psychedelisch anmutende Gemälde an der linken Außenwand auf. Auch weiß ich nicht, was mich an diesem Nachmittag unversehens nach oben blicken ließ; aber oben an der Decke schwebt ein rosiges Schwein an einem blauen Himmel. Mit einem Mal erinnerte ich mich an das Schwein, das im Animals-Konzeptalbum von Pink Floyd im Song Pigs eine tragende Rolle spielt. Pigs beginnt mit einem kleinen rosigen Schwein, das scheinbar harmlos am blauen Himmel schwebt und grunzt; aber dann, im Verlauf des Songs, wird ein riesiges rotglühendes Monster daraus, das über die Zuschauer hinweg segelt... Was für seltsame Haken schlugen meine Gedanken?

Mittlerweile hatte ich längst den Theatereingang erreicht und schlüpfte in das Foyer mit der Garderobe und der Bar. Auch diesmal fand ich dieses Theater so gemütlich und heimelig wie beim ersten Kennenlernen im letzten Jahr, als ich den Zuschauerraum betrat. Zwar bestehen die Sessel in den Rängen seit Beginn dieses Jahres nicht mehr aus Plüsch, sondern aus resistentem blauem Hartschaum; aber nach wie vor sitzt man in ihnen sehr bequem, und nach wie vor sitzt man in der ersten Reihe Auge in Auge mit den auftretenden Künstlern.

Es gibt Zuschauerinnen und Zuschauer, die zwischen sich, dem Geschehen und den Akteuren auf der Bühne Distanz wahren möchten; aber da es im Werk 7-Theater bei den Tickets keine nummerierten Plätze gibt, kann man, solange man rechtzeitig vor Beginn der Veranstaltung eintrifft, jederzeit in die oberen Ränge ausweichen.

Und dann gibt es welche, die hautnah am Geschehen und an den Akteuren dran sein, keine Geste, keine Miene und keinen Ton verpassen möchten; und zu dieser Sorte gehöre ich, so dass ich an diesem Samstag die Augenhöhen-Perspektive zu schätzen wusste und genoss.

Als ich im Werk 7-Theater eintraf, stand der Münchner Pianist Chris Gall auf dem Programm, der sich sowohl mit klassischer Musik als auch mit Jazz und Swing auskennt. Und Chris Gall hat sich an ein anspruchsvolles Crossover gewagt: Er überträgt bekannte Klaviersonaten von Claude Debussy, Eric Satie und anderen Impressionisten zum Teil in die Sprache des Jazz, und dies auf sehr geschmackvolle und subtile Weise, so dass ihm tatsächlich der Spagat gelingen könnte, sowohl die Klassik- als auch die Jazz-Fraktion zufriedenzustellen.

Allerdings ist hierfür eine Grundvoraussetzung erforderlich: dass das Publikum bewusst und aufmerksam zuhört. Denn ganz gleich, ob impressionistische Klaviersonaten in ihrer Gestalt belassen oder variiert und umspielt werden, sie und auch der Flügel, der sie alleine trägt, brauchen Ruhe und Stille, um atmen, sich entfalten und den Raum mit ihrer Atmosphäre erfüllen zu können, um jenen Regenbogenschleier aus buntem Licht zu weben, der die Musik der französischen Impressionisten auszeichnet.

Und leider kann jener Regenbogenschleier nicht entstehen, wenn in den Rängen im Saal die Leute ständig kommen und gehen. Sie erzeugen Hektik und Unruhe, machen ein Lauschen und Sich-in-ein-Werk-Versenken nahezu unmöglich... Ist ein Großteil der Menschen, die Musikfestivals besuchen, nicht mehr fähig, still zu sein, sich hinzusetzen und zuzuhören? Nicht mehr gewillt, sich auf ein Stück und ein Instrument bewusst zu konzentrieren?

Am Ende seines Konzerts hat Chris Gall angekündigt, dass er sein Programm am 02.06.2025 im Deutschen Theater präsentieren wird; ich nehme an, im Silbersaal. Im Deutschen Theater hat er den Vorteil, dass das Publikum, wenn es seine Plätze eingenommen hat, auch sitzen bleibt und nicht ständig im Wandern begriffen ist...

Seltsamerweise wirkte das Kommen und Gehen des Publikums beim nächsten Live-Gig, dem Danilo und David Weiss-Quartett, nicht so störend. Zum einen gelang es den vier Musikern, mit Flügel, Akkordeon, Kontrabass und Schlagzeug den Geräuschpegel zu übertönen, der entsteht, wenn mehrere Menschen zur gleichen Zeit einen Raum betreten und verlassen; zum anderen ist Sinti-Jazz und -Swing von Natur aus in Bewegung, immer vorwärts und meist in einem rasantem Tempo, so dass Menschen, die durch die Ränge eines Theatersaals wandern, Teil des Gesamtklangs werden.

Falls es bei jemandem klingelt, wenn sie oder er den Namen Weiss hört: Richtig, Danilo und David Weiss stammen aus einer Familie von Sinti-Musikern, die schon seit mehreren Generationen in Deutschland und ganz Europa unterwegs und bekannt ist. Angefangen haben Hänsche und Traubeli Weiss in den 1960er Jahren auf der Wiese vor dem Kloster Banz und auf der Burg Neudeck, bevor sich die Familie Weiss in späteren Generationen zunehmend dem Jazz und Swing ihrer Vorfahren verschrieben hat.

Allerdings spielen Danilo und David Weiss nicht Gitarre oder Geige; sie haben sich auf Flügel und Akkordeon spezialisiert. Doch in Sachen Rasanz, Rhythmik und Virtuosität gehen sie in dieselbe Richtung wie z.B. Bireli Lagrène oder Sébastien Kauffmann und seine Mitstreiter. An dieser Stelle von mir auch ein großes Lob an den Herrn am Kontrabass und Schlagzeug!

Irgendwie ähnelt die Musik dieses Quartetts einem TEE-Zug, der mit 140 Sachen über das Gleis hinwegfegt und den, einmal in Gang gesetzt, nichts und niemand aufhält. Nur, dass die Räder eines Zuges nicht so locker und lässig auf der Schiene federn und auch nicht in diesem ganz besonderen Rhythmus wippen und zucken...

Nachdem der TEE-Zug des Danilo und David Weiss-Quartetts seinen Zielbahnhof erreichte und zum Stillstand kam, war es für mich Zeit, wieder in die Nachtkantine umzuziehen, und sei es nur, um selbst in Bewegung zu bleiben. Allerdings lohnte sich mein Umzug durchaus; denn dort drüben war ein Duo namens Tonland aus Hessen angesagt.

Und bei Tonland kristallisierte sich eine Wahrheit heraus, die seit Generationen nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat: Wenn beide Partner eines Duos gut genug sind, genügt eine markante, ausdrucksvolle Stimme (der Dame) und eine stark und souverän gespielte Konzertgitarre (des Herrn), um ein Publikum aufzuwecken und bei der Stange zu halten.

Ich bin mir sicher: Würde das Duo Tonland auf der Straße, in einem Club oder in jedem beliebigen Konzertsaal auftreten, wären diese beiden überall im Stande, sich beim Publikum Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen!

Nach einem Getränk und einem stärkenden Abendessen (diesmal keine Knödel mit Soße, sondern Vareniky, halbmondförmige Teigtaschen aus der Ukraine, die mit Speck, Zwiebeln und gestampften Kartoffeln gefüllt sind) wanderte ich ein letztes Mal zum Werk 7-Theater hinüber, zu meinem letzten Programmpunkt an diesem Abend.

Hanna Sikasa, die aus Augsburg zu uns nach München herübergekommen ist, hat den Soul für sich entdeckt; allerdings nicht den wilden, elementaren Ur-Soul, so wie wir ihn von Aretha Franklin und Tina Turner bzw. Ray Charles und James Brown kennen. Ihre weiche, runde und sanfte Stimme ähnelt eher der von Nina Simone oder Sadé Adou, und so ist auch der Klangteppich beschaffen, den ihre fünfköpfige Band webt: Keyboard, Kontrabass, Schlagzeug, Flügelhorn bzw. Trompete und Cello.

Während Keyboard, Schlagzeug und Flügelhorn an diesem Abend für einen in jeder Hinsicht tragfähigen, stützenden, aber niemals aufdringlichen Untergrund sorgten, blieben Cello und Kontrabass leider weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Sicher ging es bei den Songs um den Gesamteindruck, der weich, rund und harmonisch sein und bleiben sollte und dem sich Cello und Kontrabass unterzuordnen hatten. Nur weiß ich eben auch, was ein Cello an Ausdruckskraft und Klangtiefe und ein Kontrabass an Rhythmik und Dynamik zu erzeugen vermag, so dass ich das fast völlige Verschwinden beider Instrumente schade fand...



14.09.2024 - Verborgene Schätze - "Classic Brass" im Garten von Schloss Fürstenred
Neuried, mein kleiner Vorort genau hinter der südlichen Stadtgrenze von München, bietet zwar sage und schreibe vier Gaststätten, die nicht weit voneinander entfernt liegen, aber selten kulturelle Attraktionen oder gar Programme. In der Mehrzweckhalle hinter der Grundschule finden dann und wann Konzerte statt; das "Spectaculum Mundi" gegenüber dem Clubhaus der ortsansässigen Sportvereine war einst Schauplatz der Vokal total-Konzertreihe der Chöre und a-cappella-Bands, die von Oktober bis zum Ende der Adventszeit stattfand, doch seit 2020 rührt sich dort nicht mehr viel; und Schloss Fürstenried ist ein Exerzitienhaus der katholischen Kirche, dessen Toreinfahrt und Eingangstüren für die breite Öffentlichkeit verschlossen bleiben. Doch einmal im Jahr zur Sommerzeit findet im Garten auf der Rückseite des Schlosses ein Open Air-Konzert statt, zu dem alle eingeladen sind, die sich in Neuried, Fürstenried West oder Planegg ein Ticket zum Einheitspreis von 20 Euro besorgt haben. Da mich zum einen schon geraume Zeit die Neugier umtreibt, mir einmal dieses "verbotene" Schloss anzusehen, und man zum anderen klassische Konzerte guter Ensembles zum Preis von 20 Euro in und um München heutzutage mit der Lupe suchen muss, zögerte ich nicht lange und verschaffte mir meine Eintrittskarte. Getragen wurde dieses Open Air-Konzert von "Classic Brass", einem Blechbläser-Quintett, das aus zwei Deutschen und drei Ungarn besteht, die sich am Konservatorium von Salzburg kennengelernt und zusammengetan haben und mittlerweile ihre Instrumente selbst lehren: zwei Trompeten, eine Posaune, ein Flügelhorn und eine Tuba. Und so passierte ich an einem Sonntagnachmittag Ende Juli zum ersten Mal das elegant geschwungene Tor in der hohen gelben Mauer, die Schloss Fürstenried sonst zur Straße hin fast völlig abschirmt; nur durch die Stäbe des schmiedeeisernen Torgitters kann man ein wenig in den vorderen Schlossgarten und auf das Schloss selbst blicken. In der Mitte des Ehrenhofes, der sich zwischen zwei golden und weiß getünchten Exerzitienhäusern und dem Schloss erstreckt, ist ein großes Rosen-Rondell angelegt, das von einem Promenadeweg aus Sand und Kies eingefasst wird. Auch Schloss Fürstenried ist golden und weiß getüncht (dem Gerüst nach zu urteilen, wird derzeit die Außenfassade restauriert, und die Arbeiten gehen in die Endphase über); doch anders als im Barock und Rokoko wölben und beulen sich weder der Zentralbau noch die angrenzenden Gebäudeflügel noch die beiden Exerzitienhäuser. Auch das in Ober- und Niederbayern sonst so beliebte Ranken- und Laubwerk an allen Tür- und Fensterstöcken und unterhalb der Dachtraufe findet man hier nicht. Alles an diesem Schloss und den Gebäuden, die dazu gehören, ist klar, gerade, kringel- und schnörkellos, was auf die klassizistische Epoche hinweist.


Verborgene Schätze - "Classic Brass" im Garten von Schloss Fürstenried
 

Neuried, mein kleiner Vorort genau hinter der südlichen Stadtgrenze von München, bietet zwar sage und schreibe vier Gaststätten, die nicht weit voneinander entfernt liegen, aber selten kulturelle Attraktionen oder gar Programme.

In der Mehrzweckhalle hinter der Grundschule finden dann und wann Konzerte statt; das Spectaculum Mundi gegenüber dem Clubhaus der ortsansässigen Sportvereine war einst Schauplatz der Vokal total-Konzertreihe der Chöre und a-cappella-Bands, die von Oktober bis zum Ende der Adventszeit stattfand, doch seit 2020 rührt sich dort nicht mehr viel; und Schloss Fürstenried ist ein Exerzitienhaus der katholischen Kirche, dessen Toreinfahrt und Eingangstüren für die breite Öffentlichkeit verschlossen bleiben.

Doch einmal im Jahr zur Sommerzeit findet im Garten auf der Rückseite des Schlosses ein Open Air-Konzert statt, zu dem alle eingeladen sind, die sich in Neuried, Fürstenried West oder Planegg ein Ticket zum Einheitspreis von 20 Euro besorgt haben.

Da mich zum einen schon geraume Zeit die Neugier umtreibt, mir einmal dieses "verbotene" Schloss anzusehen, und man zum anderen klassische Konzerte guter Ensembles zum Preis von 20 Euro in und um München heutzutage mit der Lupe suchen muss, zögerte ich nicht lange und verschaffte mir meine Eintrittskarte.

Getragen wurde dieses Open Air-Konzert von Classic Brass, einem Blechbläser-Quintett, das aus zwei Deutschen und drei Ungarn besteht, die sich am Konservatorium von Salzburg kennengelernt und zusammengetan haben und mittlerweile ihre Instrumente selbst lehren: zwei Trompeten, eine Posaune, ein Flügelhorn und eine Tuba.

Und so passierte ich an einem Sonntagnachmittag Ende Juli zum ersten Mal das elegant geschwungene Tor in der hohen gelben Mauer, die Schloss Fürstenried sonst zur Straße hin fast völlig abschirmt; nur durch die Stäbe des schmiedeeisernen Torgitters kann man ein wenig in den vorderen Schlossgarten und auf das Schloss selbst blicken.

In der Mitte des Ehrenhofes, der sich zwischen zwei golden und weiß getünchten Exerzitienhäusern und dem Schloss erstreckt, ist ein großes Rosen-Rondell angelegt, das von einem Promenadeweg aus Sand und Kies eingefasst wird. Auch Schloss Fürstenried ist golden und weiß getüncht (dem Gerüst nach zu urteilen, wird derzeit die Außenfassade restauriert, und die Arbeiten gehen in die Endphase über); doch anders als im Barock und Rokoko wölben und beulen sich weder der Zentralbau noch die angrenzenden Gebäudeflügel noch die beiden Exerzitienhäuser. Auch das in Ober- und Niederbayern sonst so beliebte Ranken- und Laubwerk an allen Tür- und Fensterstöcken und unterhalb der Dachtraufe findet man hier nicht. Alles an diesem Schloss und den Gebäuden, die dazu gehören, ist klar, gerade, kringel- und schnörkellos, was auf die klassizistische Epoche hinweist.

Durch einen kleinen provisorisch errichteten Korridor durften die Gäste nach Vorzeigen der Eintrittskarte den Garten betreten, der sich hinter dem Schloss erstreckt. Hier findet man neben zwei weiteren Rosenbeeten einen Brunnen, den die ebenso anmutige wie für ein Exerzitienhaus recht freizügige Skulptur des Pan krönt, und eine große moosige Rasenfläche im Schatten weit ausladender Linden.

In aller Eile hatten die Organisatoren sämtliche Stühle herangeschafft, die sich auftreiben ließen, und sich noch ein paar Bänke aus dem Biergarten der Schwaige geliehen, ein in der Nachbarschaft beliebtes Ausflugslokal, das auf der anderen Seite der Forst-Kasten-Allee dem Schloss schräg gegenüber liegt. Denn obwohl die Formation Classic Brass nicht zu den Berühmtheiten der Klassik-Szene zählt, strömten mehr Besucherinnen und Besucher in den sonst so stillen Garten, als das Bläser-Quintett und die Veranstalter erwartet hatten.

Vor dem Beginn des Konzerts und in der Pause zwischen den beiden Programmblöcken - Getränke gab es, aber sonst nur süße und salzige Knabbereien - nutzte ich nebst anderen Gästen die Gelegenheit, Schloss Fürstenried bzw. wenigstens den Zentralbau einmal von innen zu betrachten.

Das Glatte, Schmuck- und Schnörkellose, das die Außenfassade kennzeichnet, setzt sich bei der Innenarchitektur konsequent fort. Ob es sich um die Eingangshalle, die Seitenflügel oder den Weißen Saal handelt, in dem Vorträge, geführte Meditationen oder bei Regen auch Konzerte stattfinden, überall sind die Wände weiß, glatt und ohne Schmuck und Zierrat.

Schade! Ich habe einmal den Ehrensaal im Obergeschoss des Schlosses Schleißheim besucht, in dem regelmäßig Klassik-Konzerte stattfinden, und er ist nicht viel größer als der relativ kleine und kompakte Weiße Saal von Schloss Fürstenried. Aber dafür sieht man an den Wänden, Fensternischen und an der Decke des Ehrensaals von Schloss Schleißheim Stuck, Schmuck und Schönheit vom Feinsten!

Und dennoch bezeugen zwei riesige Spiegel in mehrfach ineinander gestuften, sich nach innen verjüngenden glau-blauen Rahmen, die einander direkt gegenüber angebracht sind, ein riesiger Deckenlüster aus Bleikristallkugeln, die sich wie Perlenstränge aneinanderreihen, und zwei kleinere, ebenfalls aus Bleikristall gefertigte Wandleuchten, dass einst auch Fürstenried ein königliches Schloss war.

Nur, dass sein ständiger Bewohner Otto von Bayern, Sohn Maximilians II. und älterer Bruder des späteren Königs Ludwig II., auf Grund seiner Geisteskrankheit hier über die Hälfte seines Lebens von Krankenwärtern betreut und bewacht wurde und bis zu seinem Tod gefangen saß. Wie so oft, wenn sich mir dieser Gedanke aufdrängte, überkam mich trotz der Wärme des Sommerabends ein leiser aber eisiger Schauer, der mich mit einem Mal frösteln ließ...

Rasch suchte ich wieder den Garten im Innenhof des Schlosses auf und sah zu, dass ich mich auf einer der Bierbänke in den hintersten Reihen niederließ, bevor es keine freien Plätze mehr gegeben hätte.

Dann perlten die hellen, leichten, glasklaren Töne einer Solo-Trompete durch die milde, von einem kühlenden Hauch bewegte Abendluft, gefolgt von der zweiten Trompete, dann der Posaune, dann vom Horn und als Letztes von der Tuba:

Zum Rondeau von Jean Joseph Mouret, der von 1682 bis 1738 lebte, zogen die fünf Herren von Classic Brass im Gänsemarsch ein, und jeder von ihnen nahm auf der kleinen, von blauen Zeltdächern gegen die Sonne abgeschirmten Bühne seinen Platz hinter dem Ständer mit den aufgeschlagenen Notenheften ein.

Die erste Hälfte des Konzerts galt der Generalbasszeit, in die auch der französische Komponist Jean Joseph Mouret gehört; alle anderen Stücke des ersten Teils bis auf das letzte stammten von Johann Sebastian Bach. Das Besondere an diesen Stücken war, dass Bach sie ursprünglich für andere Instrumente komponiert und der Hornist Christian Fath sie für das Blechbläser-Quintett arrangiert hat.

So hat Bach das Concerto in D-Dur BWV 972 für ein Cembalo und ein Streichquartett geschrieben (und dabei von seinem italienischen Kollegen Antonio Vivaldi abgekupfert, was man in früheren Zeiten ohne weiteres durfte). Das Concerto in d-Moll BWV 1043 wurde für zwei Solo-Violinen gesetzt, und das berühmte Air in D-Dur aus der Suite Nr. 3 ist für Streichinstrumente bestimmt.

Was Bach angeht, kenne ich mich ein wenig in seinen Chorsätzen aus - vor Urzeiten habe ich einmal in einem Kirchenchor im Sopran gesungen - und weiß, dass er abwechselnd endlose Höhenflüge und rasante Koloraturen und immer wieder halsbrecherische Quinten- und Oktavensprünge verlangt, und zwar von allen Singstimmen.

Mit Bachs Instrumentalstücken bin ich weniger vertraut, habe indes den einen oder anderen Auszug aus den Brandenburgischen Konzerten gehört, durch die sich vom Anfang bis zum Ende perlende und sprudelnde Achtel- und Sechzehntel-Kaskaden und Triller ziehen.

Und die Stücke von Bach verzeihen weder Fehler noch eine unpräzise Ansprache der Töne. Sonst zerfällt der Zusammenklang sofort zu einem Wirrwarr oder einem monotonen Leierkasten, allein zusammengehalten von den Akkorden des Generalbasses, der in gnadenloser, unerbittlicher Gleichförmigkeit pumpt und dröhnt.

Als ich an diesem Abend vom Bläser-Quintett Classic Brass solche Stücke aus der Generalbasszeit hörte, musste ich meine Meinung über Blechbläser gehörig revidieren.

Da ich Trompeten und Posaunen sonst überwiegend von Paraden und Festzelten kenne, klingen beide Instrumente in meinen Ohren grell, breit, auftrumpfend und bombastisch. Doch selten habe ich Trompeten und Posaunen so leicht, schlank und graziös und so gestochen präzise gehört wie an diesem Abend! Wie lupenrein, leicht und flüssig war jedes einzelne Instrument zu hören und trug zugleich die anderen mit!

Und alle fünf Herren hatten eine so klare und zugleich so sanfte und weiche Art zu blasen, wie ich es in ähnlicher Weise bisher nur von Rondó Veneziano kenne; und die Holz- und Blechbläser dieses Rokoko-Orchesters beherrschen den klaren, leichten und doch sanften Ton der Generalbasszeit wie nur wenige andere Ensembles. Bei ihnen perlen und glitzern die Töne der Querflöten, Klarinetten und vor allem der Solo-Oboe, aber auch der Solo-Bachtrompete wie tanzende und schäumende Sektperlen in einem Champagnerglas.

Als schließlich das Air aus der 3. Suite von Bach als Tuba-Solo durch die klare, von einem leichten Wind bewegte Abendluft tönte, konnte ich kaum glauben, was ich hörte.

Bei uns in Bayern hat die Tuba immer etwas Schweres und Behäbiges, und das nicht nur, weil sie für die anderen Bläser die Bassfigur vorgibt; ich finde, dass in der Art, wie sie bei uns geblasen wird, etwas Derbes liegt.

Doch nie habe ich erwartet, dass jemand einer Tuba solch weiche, zarte, schmelzende Töne entlockt, wie man sie eher von einem Cello oder, wenn man bei den Bläsern bleiben will, von einem Englischhorn erwartet. Seidenweich und federleicht tönte das Air durch die Lüfte, von den anderen vier Herren gerade noch mit einem Hauch Ton begleitet.

Hm. Ganz offensichtlich gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen dem Juchheirassa eines Spielmannszuges oder einer Festzelt-Kapelle und den Gefilden der klassischen Musik!

Und dann, als sich die fünf Herren von Classic Brass am Ende des ersten Programmblocks selbst ein Geburtstagsständchen bliesen - diese Formation gibt es nunmehr seit 15 Jahren -, brachen sie mit einem Mal in den Big Band-Sound der 1940er Jahre aus und begannen zu quäken, zu tröten, zu schnarren und zu quieken, was das Zeug hielt!

Der zweite Teil begann mit einem Tango von Carlos Grande, Por una cabeza; eine Musik für eine Bar, in der verliebte Pärchen eng aneinandergeschmiegt bei Schummerlicht vor sich hin schwelgen.

Auf die Ouvertüre zum dritten Akt von Bizets Carmen und die Debussy-Impression La Fille aux Cheveux de Lin folgte ein weiterer Ausbruch in den Jazz, diesmal in Gestalt bekannter Volkslieder wie der Vogelhochzeit, Das Wandern ist des Müllers Lust und Mein Vater war ein Wandersmann.

Kann man sich verjazzt nicht vorstellen? Doch, das geht! Das geht sogar sehr gut, wenn alle Solisten nacheinander und dann wieder im Zusammenspiel zeigen, was sie an schrägen und swingenden Tönen aus ihrem Blech herausholen können!

Und dann, z.B. bei Fallin in Love von Elvis Presley oder dem Wiegenlied von Johannes Brahms, kommt bei allen wieder das Weiche, Sanfte und Zarte durch, das genau in diese stille, meditative Umgebung und den milden, friedlichen Sonntag im Sonnenschein passte.


Mein Fazit:

Schade, dass die fünf Herren von Classic Brass sich von den großen Münchner Konzertbühnen wie dem Cuvilliés-Theater, dem Brunnenhof und dem Herkulessaal der Residenz oder dem Hubertussaal von Schloss Nymphenburg fern halten. Dieses Quintett spielt lieber in kleinen aber feinen Schlössern und Schlösschen, die es rund um München und in Nieder- und Oberbayern gibt, so dass man sie suchen und ihnen dorthin folgen muss.

Doch manchmal erlebt man genau an solch stillen und abgeschiedenen Orten - wie an diesem Abend im Garten von Schloss Fürstenried - kleine feine Wunder...



02.02.2024 - Wie Mensch und Tod einander begegnen
Über den Himmel und über Gott hat sich Jacques Brel mokiert und Bigotterie und Frömmelei scharf aufs Korn genommen; er hatte zu beidem durchweg eigenwillige Ansichten. Und doch hat ihn schon in seinen jungen Jahren, lange bevor er von seiner Krebserkrankung erfuhr und ihr mit neunundvierzig Jahren erlag, der Gedanke an den Tod immer wieder beschäftigt; oder eher die Frage, wie man ihm als Mensch am besten begegnet. Viele berühmte Künstler, die jung gestorben sind, hat der Tod jäh und plötzlich aus dem Leben gerissen, so schnell, dass sie nicht damit gerechnet haben, wie Buddy Holly oder Aaliyah, die mit dem Flugzeug abgestürzt sind; oder sie wurden erschossen wie Sam Cooke, Marvin Gaye oder John Lennon. Andere aber scheinen früh zu ahnen, dass ihr Leben kurz sein wird; und zu ihnen hat wohl auch Jacques Brel gehört. Nach seinen Aussagen in den Chansons "Le Moribond" und "Vieillir" ist der Tod zwar ernst zu nehmen, aber nicht zu fürchten; eine saubere, anständige Angelegenheit, der man als Mensch mit Stil und Haltung zu begegnen hat. Schlimmer und furchtbarer als der Tod ist für Jacques Brel ein Altern, das mit schleichendem, unaufhaltsamem Verfall einhergeht, das dem Menschen die Freude am Leben raubt und ihn von der Welt und den Menschen verlassen zurücklässt, so wie er es in "Les Vieux" schildert. Dann wird das Schnurren des Pendels der Uhr im Salon zur ewigen, in seiner Einförmigkeit und Gleichgültigkeit unerbittlichen Mahnung: “Ich warte auf dich!”


Wie Mensch und Tod einander begegnen
 

Über den Himmel und über Gott hat sich Jacques Brel mokiert und Bigotterie und Frömmelei scharf aufs Korn genommen; er hatte zu beidem durchweg eigenwillige Ansichten.

Und doch hat ihn schon in seinen jungen Jahren, lange bevor er von seiner Krebserkrankung erfuhr und ihr mit neunundvierzig Jahren erlag, der Gedanke an den Tod immer wieder beschäftigt; oder eher die Frage, wie man ihm als Mensch am besten begegnet.

Viele berühmte Künstler, die jung gestorben sind,  hat der Tod jäh und plötzlich aus dem Leben gerissen, so schnell, dass sie nicht damit gerechnet haben, wie Buddy Holly oder Aaliyah, die mit dem Flugzeug abgestürzt sind; oder sie wurden erschossen wie Sam Cooke, Marvin Gaye oder John Lennon.

Andere aber scheinen früh zu ahnen, dass ihr Leben kurz sein wird; und zu ihnen hat wohl auch Jacques Brel gehört. Nach seinen Aussagen in den Chansons Le Moribond und Vieillir ist der Tod zwar ernst zu nehmen, aber nicht zu fürchten; eine saubere, anständige Angelegenheit, der man als Mensch mit Stil und Haltung zu begegnen hat.

Schlimmer und furchtbarer als der Tod ist für Jacques Brel ein Altern, das mit schleichendem, unaufhaltsamem Verfall einhergeht, das dem Menschen die Freude am Leben raubt und ihn von der Welt und den Menschen verlassen zurücklässt, so wie er es in Les Vieux schildert.

Dann wird das Schnurren des Pendels der Uhr im Salon zur ewigen, in seiner Einförmigkeit und Gleichgültigkeit unerbittlichen Mahnung: “Ich warte auf dich!”

In Mon Dernier Repas hat sich Jacques Brel seinen Abschied vom Leben als ein Fest vorgestellt:

Von seinem Fenster aus hat er eine Ebene und eine Hügelkuppe im Blick, die sich im Wind wiegt und tanzt. Um sich herum versammelt er seine Brüder und Cousins, seine Freunde und Geliebten und seine Tiere. Es wird noch einmal vorzüglich gegessen und getrunken, Fasan aus dem Périgord und Muskatellerwein.

Nach dem Festmahl verabschiedet er seine Gefährten, will, dass sie ihn allein lassen. Dann, während er ein letztes Mal Angst hat, schwebt sein Geist über die Ebene zur Hügelkuppe hinüber, die im Wind wogt und tanzt...

In Le Moribond klärt er mit seinem Freund, seinem Beichtvater, seinem Nebenbuhler und seiner Frau die letzten Angelegenheiten, die es nach seinem Ableben zwischen ihnen zu regeln gibt. Bei der Beerdigung will er, dass alles lacht und tanzt und sich wie verrückt amüsiert, während er in die Grube fährt...

Seine letzten Lebensjahre und sein Abschied von dieser Welt verliefen doch ein wenig anders.

In den letzten Jahren gab er seine Gesangskarriere auf und auch die Filme, die er drehte, hatte vom Trubel und Zirkus des Konzert- und Tourneelebens und vom hektischen, gereizten Leben in Paris und anderen Großstädten dieser Welt die Nase voll. Mit einer kleinen Segelyacht, seiner Tochter und seiner letzten Lebensgefährtin reiste er quer über den Atlantik und durchquerte den Panama-Kanal, wo seine Tochter im wahrsten Sinne des Wortes ausstieg.

Jacques Brel segelte mit seiner Lebensgefährtin weiter und ließ sich mit ihr auf Hiva Oa nieder, einer Insel im Pazifik, die zum Archipel der Marquesas gehört. Hier zog er mit ihr in ein schlichtes weißgetünchtes Haus mit Blick auf Strand und Meer. Selten hatten die beiden Gäste, doch sobald sich gute Freunde und Bekannte auf seine Insel verirrten, wartete ein Galadiner auf sie, mit allem, was dazu gehört.

Daneben kümmerte er sich um die Eingeborenen, ließ auf Hiva Oa das erste Kino bauen und einrichten, gab hin und wieder mit seiner Gitarre kleine Privatkonzerte für sie und sorgte mit seinem kleinen einmotorigen Flugzeug persönlich dafür, dass die Bewohner der Insel mit dem versorgt waren, was sie zum Leben brauchten, und dass ihre Verbindung zur Welt und zur Zivilisation erhalten blieb.

Und das genügte Jacques Brel und seiner Lebensgefährtin; sie waren auf Hiva Oa glücklich. Ruhm, Ansehen, Hektik und Trubel brauchten, suchten und wollten sie nicht; was sie wollten und hatten, war ihr Leben als Insulaner unter Insulanern.

Doch dann verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, so dass er nach Paris zurück musste, um sich behandeln zu lassen.

Als er nach Orly zurückkehrte, hielt er sich sich in einer Toilette auf dem Flughafen versteckt, während seine Lebensgefährtin sich bemühte, die zudringliche Meute der Paparazzi, die ihm auflauerten, von ihm fernzuhalten und zu verscheuchen. Nach zwei Stunden hatten sie endlich genug und ließen von ihm ab. Doch in dieser Zeitspanne zog er sich auf der kalten, zugigen Toilette eine Lungenentzündung zu, die sein geschwächter Körper nicht mehr abzuwehren vermochte, so dass er schließlich an den Folgen seines Krebsleidens starb.

Gemäß seinem letzten Wunsch brachte man ihn zurück nach Hiva Oa, wo er neben dem Maler Paul Gauguin bestattet wurde. Bis heute kann man beide Gräber und ein kleines Jacques Brel-Museum besichtigen, das sein Leben auf der Insel in den Mittelpunkt rückt.

Und wer weiß? Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass seine Seele bis heute über Hiva Oa schwebt, frei und im Frieden mit sich, dem Himmel  und der See...



02.02.2024 - Mein Flandernland - Belgien im Spiegelbild
An Belgien habe ich nur wenige Erinnerungen, die dennoch über die Jahre hinweg immer wieder mal meinem Gedächtnis aufgetaucht sind. Auf unserer Klassenfahrt nach London, die von der Fremdsprachenschule organisiert wurde, an der ich von 1984 bis 1986 in Coburg meine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolviert habe, mussten wir einen Teil der Normandie und Belgien durchqueren, um nach Ostende zu unserer Fähre zu gelangen, die uns über den Ärmelkanal nach Dover bringen würde. Ich erinnere mich daran, dass sich auf einer Seite der Autobahn ein endloses Band von Wiesen, Äckern und Felden erstreckte und jenseits davon das graue, ebenso endlos anmutende Band des Ärmelkanals; eine Wassermasse, die mir auf unserer Fahrt ebenso pfannkuchenplatt und unbewegt wie das Land erschien. Auf der anderen Seite der Autobahn erhoben sich große stattliche Häuser mit geschweiften oder wabenartigen Giebeln und vorspringenden Erkern, die in klaren satten Farben getüncht waren und alles in allem den Eindruck von Wohlstand, wenn nicht gar Reichtum erweckten. Auch erinnere ich mich noch daran, dass in Belgien Restaurants, Bistros und Cafés nicht in den Häusern untergebracht sind, sondern meist davor, in einem von Säulen gestützten Pavillon oder Wintergarten aus Glas, der das stilvolle, blitzsaubere Interieur der Gaststube zeigt. Auf der Rückreise von London nach Coburg nahmen wir denselben Weg - sprich, von Dover nach Ostende -, und vor der endgültigen Heimfahrt legten wir noch eine dreistündige Pause in Brüssel ein, um in einem chinesischen Restaurant zu Abend zu essen. Daran erinnere ich mich auch noch, aber darüber hinaus sind von Brüssel in meinem Gedächtnis leider nur Straßen mit Kopfsteinpflaster hängengeblieben, die von gusseisernen Straßenlaternen erleuchtet sind, Häuser, die mit jeder Menge Glühbirnen verziert sind, und das vage Bild des Atomiums. Ein immaterielles Wahrzeichen von Belgien gibt es, das über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist und immer noch existiert: die Comicreihe "Tim und Struppi", in Belgien und Frankreich als "Tintin et Milou" bekannt. Wer erinnert sich an den furchtlosen, unermüdlichen Reporter Tim, der mit seinem weißen Terrier Struppi in ein exotisch-bizarres Abenteuer nach dem anderen gerät und aus allen Gefahren und Strapazen mit seinem stets gleichbleibenden Ausdruck freundlicher, naiv staunender Neugier hervorgeht? Oder an die vor Sprachgewalt überschäumenden Flüche und Kraftausdrücke des ewig betrunkenen Kapitäns Haddock (”Hunderttausend heulende Höllenhunde!”)? Oder die tollpatschigen eineiigen Detektiv-Zwillinge Schulze und Schultze (im Französischen Dupond et Dupont)? 1978 wurde diese Comicreihe eingestellt, doch bis heute sind fast alle "Tim und Struppi"-Bände als historische Dokumente des Fortschritts in Wissenschaft und Technik im 20. Jahrhundert in gutsortierten Buch- und Zeitschriftenhandlungen erhältlich. Zu den spannendsten und eindrucksvollsten Geschichten, die ich gelesen habe, zählen "Tim in Tibet" und "Flug 714 nach Sydney". Was mein Ausflug in meine Erinnerungen an Belgien mit Jacques Brel zu tun hat? Nun ja, er stammte aus Brüssel, genau gesagt, aus dem gutsituierten Stadtteil Schaerbeek.


Mein Flandernland - Belgien im Spiegelbild


An Belgien habe ich nur wenige Erinnerungen, die dennoch über die Jahre hinweg immer wieder mal meinem Gedächtnis aufgetaucht sind. Auf unserer Klassenfahrt nach London, die von der Fremdsprachenschule organisiert wurde, an der ich von 1984 bis 1986 in Coburg meine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolviert habe, mussten wir einen Teil der Normandie und Belgien durchqueren, um nach Ostende zu unserer Fähre zu gelangen, die uns über den Ärmelkanal nach Dover bringen würde.

Ich erinnere mich daran, dass sich auf einer Seite der Autobahn ein endloses Band von Wiesen, Äckern und Felden erstreckte und jenseits davon das graue, ebenso endlos anmutende Band des Ärmelkanals; eine Wassermasse, die mir auf unserer Fahrt ebenso pfannkuchenplatt und unbewegt wie das Land erschien.

Auf der anderen Seite der Autobahn erhoben sich große stattliche Häuser mit geschweiften oder wabenartigen Giebeln und vorspringenden Erkern, die in klaren satten Farben getüncht waren und alles in allem den Eindruck von Wohlstand, wenn nicht gar Reichtum erweckten. Auch erinnere ich mich noch daran, dass in Belgien Restaurants, Bistros und Cafés nicht in den Häusern untergebracht sind, sondern meist davor, in einem von Säulen gestützten Pavillon oder Wintergarten aus Glas, der das stilvolle, blitzsaubere Interieur der Gaststube zeigt.

Auf der Rückreise von London nach Coburg nahmen wir denselben Weg - sprich, von Dover nach Ostende -, und vor der endgültigen Heimfahrt legten wir noch eine dreistündige Pause in Brüssel ein, um in einem chinesischen Restaurant zu Abend zu essen. Daran erinnere ich mich auch noch, aber darüber hinaus sind von Brüssel in meinem Gedächtnis leider nur Straßen mit Kopfsteinpflaster hängen geblieben, die von gusseisernen Straßenlaternen erleuchtet sind, Häuser, die mit jeder Menge Glühbirnen verziert sind, und das vage Bild des Atomiums.

Ein immaterielles Wahrzeichen von Belgien gibt es, das über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist und immer noch existiert: die Comicreihe Tim und Struppi, in Belgien und Frankreich als Tintin et Milou bekannt. Wer erinnert sich an den furchtlosen, unermüdlichen Reporter Tim, der mit seinem weißen Terrier Struppi in ein exotisch-bizarres Abenteuer nach dem anderen gerät und aus allen Gefahren und Strapazen mit seinem stets gleichbleibenden Ausdruck freundlicher, naiv staunender Neugier hervorgeht?

Oder an die vor Sprachgewalt überschäumenden Flüche und Kraftausdrücke des ewig betrunkenen Kapitäns Haddock (”Hunderttausend heulende Höllenhunde!”)? Oder die tollpatschigen eineiigen Detektiv-Zwillinge Schulze und Schultze (im Französischen Dupond et Dupont)?

1978 wurde diese Comicreihe eingestellt, doch bis heute sind fast alle Tim und Struppi-Bände als historische Dokumente des Fortschritts in Wissenschaft und Technik im 20. Jahrhundert in gutsortierten Buch- und Zeitschriftenhandlungen erhältlich. Zu den spannendsten und eindrucksvollsten Geschichten, die ich gelesen habe, zählen Tim in Tibet und Flug 714 nach Sydney.

Was mein Ausflug in meine Erinnerungen an Belgien mit Jacques Brel zu tun hat? Nun ja, er stammte aus Brüssel, genau gesagt, aus dem gutsituierten Stadtteil Schaerbeek.

Eines Tages verließ er die Kartonnagenfabrik seines Vaters, die er übernehmen hätte sollen, und ging nach Paris, um zunächst in Gestalt und Kostüm eines Mexikaners mit der Gitarre von einer Kneipe zur anderen zu tingeln und für ein Bier und ein Brot mit Schinken und Käse zu singen (der gute alte Croque-Monsieur, mit dem sich Studenten und Berufsanfänger durch den Tag schlagen, die nicht viel Geld in der Tasche haben).

In den ersten Jahren seiner Laufbahn wurde Jacques Brel in Paris unsanft und regelmäßig auf die Tatsache gestoßen, dass manche Franzosen zu Belgiern dasselbe Verhältnis haben wie manche Deutsche zu Ostfriesen: Sie halten Belgier für behäbig und schwerfällig, für Leute, die nicht die hellste Kerze auf der Torte sind.

Wie dieses Vorurteil zu Stande gekommen ist, weiß ich nicht, da ich weder Belgier noch Ostfriesen persönlich kenne. Das Einzige, was mir an Walloniern, sprich, französisch-sprachigen Belgiern auffällt, ist, dass sie langsamer, gedämpfter und bedächtiger sprechen als Franzosen, in einem wiegenden, melodischen Singsang, der den Ohren eigentlich wohltut.

Wie auch immer, eines Tages packte Jacques Brel den Stier bei den Hörnern und gab seinem Publikum im Domino, Olympia oder Bobino das, was es wollte: das Klischee des behäbigen, spießigen, beschränkten Belgiers.

So bemüht er sich in Les Bonbons als schüchtern-verklemmter Jüngling um die Gunst einer Dame, indem er ihr die Bonbons anpreist, die er ihr zum Rendezvous als Geschenk überreichen will:

“Ich habe Ihnen Bonbons mitgebracht, weil Blumen doch so schnell verderben. Und Bonbons sind doch immer etwas Gutes, auch wenn Blumen mehr hermachen...”

Nicht gerade ein Debüt, mit dem man Punkte sammelt, oder? Und wie brav und artig er fortfährt:

“Ich hoffe, dass wir spazieren gehen können; dass Ihre Frau Mutter nichts dagegen sagt. Später um acht bringe ich Sie nach Hause zurück.”

Ist es das 20. oder eher das 19. Jahrhundert, das aus ihm spricht?

Oder er träumt in Madeleine davon, dass er mit seiner Angebeteten die Linie 33 nimmt, mit ihr ins Kino geht und hinterher mit ihr Pommes frites ist, weil sie das ja so gern hat... (Übrigens ist in Belgien und auch in den Niederlanden der Alltag undenkbar ohne Pommes frites in allen Variationen und Lebenslagen.) Nur, dass Madeleine nicht zum Rendezvous erscheint und er vergebens auf sie wartet. Doch dem armen Kerl genügt allein die Vorfreude auf den nächsten Termin, der Gedanke, dass Madeleine nächstes Mal vielleicht kommen wird...

Mit seinen Attacken gegen Klischees, Vorurteile und Standesdünkel, die in anderen Chansons noch viel schärfer und bissiger ausfielen, hat sich Jacques Brel unter seinen Landsleuten zu Lebzeiten Feinde gemacht, vor allem in dem gutsituierten, wohlhabenden Bürgertum, dem er selbst entstammte. So nimmt er in Les Flamandes die Fläminnen aufs Korn, die sich beim Tanzen früher offenbar schweigsam und lustlos zeigten; die nur tanzten, um sich bald zu verloben und zu heiraten, oder um später zu zeigen, dass es um ihre Familien bestens bestellt ist, weil ihr Lehrer und Pfarrer es ihnen so beigebracht hat. Aber Lebensfreude oder Genuss strahlen sie nicht aus.

In Mon Enfance erinnert sich Jacques Brel daran, wie seltsam und fremd ihm die Mitglieder seiner Familie und seines Haushalts erschienen, zu deren Stamm er dennoch gehörte; wie kalt, starr und beklemmend er die Atmosphäre in seiner Umgebung empfand.

Tatsache war, dass in seiner Familie Gegensätze aufeinandergeprallt sind, die in Belgien bis heute existieren: Da war sein Vater, nüchtern, schweigsam und bedächtig, der planende, wirtschaftende und kalkulierende Geschäftsmann und Firmeninhaber, und auf der anderen Seite seine Mutter, lustig, gesellig und geistig beweglich, der Musik, dem Theater und der Malerei ihr Leben lang zugetan. Auch begegneten sich in seinen Eltern die französischsprachigen Wallonen und die niederländisch sprechenden Flamen, die beiden großen Volksgruppen, die in Belgien seit jeher darum ringen, sich gegeneinander zu behaupten.

Ich kann mir das Unverständnis, die Unvereinbarkeit lebhaft vorstellen, die in dieser Familie geherrscht und für eine Atmosphäre der Bedrückung, Unzufriedenheit und Feindseligkeit gesorgt haben muss; so etwas kenne ich selbst zur Genüge. Als Kind in einem Kreuzfeuer konträrer Interessen und Mentalitäten aufzuwachsen, lässt einem kaum eine andere Wahl, als sich seinen Teil zu denken. Und als Kind begreift man nicht, woher sie stammt, diese Giftwolke, die auf dem Haus und ihren Bewohnern lastet und für Kälte, Starre und Düsternis sorgt.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, in einer dysfunktionalen Familie zu überleben: Entweder akzeptiert man, was man sieht, hört und erlebt und reiht sich darin ein, oder es geht einem ein Licht in Form eines Auswegs, einer Alternative auf, und man bricht auf ins Leben, in die Freiheit. Mit der Entscheidung für das Letztere, die Jacques Brel für sich getroffen hat, endet Mon Enfance.

Doch ebenso oft, wie er seinen Landsleuten auf unangenehme Weise den Spiegel vorhielt, hat er sein Land, vor allem die Küste und das Meer, voller Sehnsucht und Melancholie porträtiert.

So zum Beispiel, wenn er in Mon Pêre Disait die Wucht des Nordwindes spürbar macht, der die Flut bei Scheveningen donnern lässt; den Nordwind, der macht, dass sich die Erde um die Türme von Brügge dreht; der dafür gesorgt hat, dass die Erde zwischen Zeebrügge und England entzwei riss, so dass London nichts als ein Teil von Zeebrügge ist, der im Meer verloren ging...

Oder wenn er in Il Neige Sur Liège den Winter in Lüttich (Liège) beschreibt: Wenn der Fluss (die Maas) den Klang des Schnees mit sich trägt... Wenn alle Straßen und Plätze in Weiß getaucht sind und Freunde und Geliebte aus der Vergangenheit wie Schemen im Schneetreiben neben einem her gehen... Wenn man nicht mehr weiß, ob der Himmel auf Lüttich herabschneit oder ob Lüttich zum Himmel schneit...

Oder wenn er in Le Plat Pays von seinem flachen Land erzählt, in dem die einzigen Berge die Kirchtürme sind, die schwarz wie Schiffsmasten emporragen und an denen Teufel mit ihren Krallen den Himmel zerfetzen; dessen Himmel so niedrig ist, dass ein Kanal in ihm verloren ging und sich erhängt hat, und so traurig und grau, dass man ihm vergeben muss; sein Land, das sich der Kraft und Macht der Winde entgegenstemmt: “Hört ihr, wie’s dagegen hält?”

Eines Tages hoffe ich, dass ich das Belgien, das Jacques Brel in seinen Chansons beschrieben hat, kennenlernen und mich dort umsehen werde, zwischen den Türmen von Brügge und Gent...



02.02.2024 - Jacques Brel - Der ewig hungrige Wolf
Am Samstag vor einer Woche war ich im Werk7-Theater im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof und habe mir einen Konzertabend mit Chansons des unvergesslichen Jacques Brel angesehen. Bestritten und gestemmt wurde dieser Abend von zwei Damen - Milica Jovanovic und Ann Mandrella – und zwei Herren – Drew Sarich und Matthias Trattner –, die ihr Können bereits in vielen Musical-Produktionen auf deutschen Bühnen unter Beweis gestellt haben. Ich fand es lobenswert, dass noch heute Generationen von Sängerinnen und Sängern, Schauspielerinnen und Schauspielern die Chansons von Jacques Brel für sich entdecken und sie herüberbringen wollen; und am Quartett dieses Abends fand ich es noch lobenswerter, dass die vier viele Chansons ins Deutsche oder Englische übersetzt haben, damit sie von Zuschauerinnen und Zuschauern verstanden werden, die der französischen Sprache nicht mächtig sind. Denn gerade bei Jacques Brel ist es wichtig, dass man den Inhalt versteht, um den es geht. Und das Sänger- und Darsteller-Quartett hat wirklich alles gegeben und durch die Bank beeindruckende Leistungen gezeigt. Doch für mich ergab sich an diesem Abend einmal mehr das Problem „Kopie vs. Original“; denn es ist alles andere als einfach, an die immer packende, häufig rührende und zuweilen gar ans Schmerzhafte grenzende Vortragskunst des echten Jacques Brel heranzukommen. Auch sind für mich viele seiner Chansons unauflöslich mit seiner tiefen, herben, brüchigen Stimme verbunden… Und so erscheint es mir nur als recht und billig, jetzt und hier noch einmal an den „Grand Jacques“ zu erinnern, in dem viele den Erben und Nachfolger von Edith Piaf sehen.


Jacques Brel - Der ewig hungrige Wolf
 

Am Samstag vor einer Woche war ich im Werk7-Theater im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof und habe mir einen Konzertabend mit Chansons des unvergesslichen Jacques Brel angesehen. Bestritten und gestemmt wurde dieser Abend von zwei Damen - Milica Jovanovic und Ann Mandrella – und zwei Herren – Drew Sarich und Matthias Trattner –, die ihr Können bereits in vielen Musical-Produktionen auf deutschen Bühnen unter Beweis gestellt haben.

Ich fand es lobenswert, dass noch heute Generationen von Sängerinnen und Sängern, Schauspielerinnen und Schauspielern die Chansons von Jacques Brel für sich entdecken und sie herüberbringen wollen; und am Quartett dieses Abends fand ich es noch lobenswerter, dass die vier viele Chansons ins Deutsche oder Englisceh übersetzt haben, damit sie von Zuschauerinnen und Zuschauern verstanden werden, die der französischen Sprache nicht mächtig sind. Denn gerade bei Jacques Brel ist es wichtig, dass man den Inhalt versteht, um den es geht. Und das Sänger- und Darsteller-Quartett hat wirklich alles gegeben und durch die Bank beeindruckende Leistungen gezeigt.

Doch für mich ergab sich an diesem Abend einmal mehr das Problem „Kopie vs. Original“; denn es ist alles andere als einfach, an die immer packende, häufig rührende und zuweilen gar ans Schmerzhafte grenzende Vortragskunst des echten Jacques Brel heranzukommen. Auch sind für mich viele seiner Chansons unauflöslich mit seiner tiefen, herben, brüchigen Stimme verbunden… Und so erscheint es mir nur als recht und billig, jetzt und hier noch einmal an den „Grand Jacques“ zu erinnern, in dem viele den Erben und Nachfolger von Edith Piaf sehen.

Wie ihr war auch ihm kein langes Leben beschieden - er war neunundvierzig Jahre alt, als er 1978 in einer Pariser Klinik an Lungenkrebs starb -, und wie sie hat auch er mit derselben verzehrenden Intensität und Bedingungslosigkeit gelebt, die er bei seinen Konzerten auf der Bühne zeigte. Neben Edith Piaf, die seine Anfänge in Paris noch erlebte und sein Potential erkannte, gilt Jacques Brel bis heute als Maßstab und Inbegriff des französischen Chansons, und auch sein Wirken und Vermächtnis hallt lange und weit über sein kurzes Erdenleben hinaus.

Und das, obwohl er nicht aus Frankreich, sondern aus Belgien stammte, was ihm zu Beginn seiner Laufbahn jede Menge Spott einbrachte. Auf das zwiespältige Verhältnis, das er wiederum zu Belgien und seinen Landsleuten hatte, komme ich später gesondert ausführlich zu sprechen.

Kennengelernt habe ich Jacques Brel in den ersten Jahren meines Berufslebens in München, Anfang der 1990er Jahre, als der neu gegründete deutsch-französische Kultursender Arte in einer neunzigminütigen Hommage an sein Schaffen und Wirken erinnerte.In Ausschnitten aus seinen Live-Konzerten im Olympia und Domino sah ich erstmals jene knochige, ja ausgezehrte Gestalt mit ihren langen, eckig zuckenden Armen und Beinen, jenes hagere, grobknochige Gesicht mit den weißen unregelmäßigen Zähnen im riesigen Mund, so dass er für mich einem hungrigen Wolf in Menschengestalt glich. Vor allem aber war Jacques Brel vom Anfang seines Auftritts bis zum Ende ein Bild fleischgewordener, nicht zu bändigender Vitalität und Leidenschaft.

Ein Chanson gibt es, dessen berstende, überschäumende Vitalität mich immer wieder aufs Neue packt und das für mich zum Frühling gehört wie das Ausschlagen der Bäume: La Valse A Mille Temps. Es ist einer der in Frankreich beliebten und bekannten Valses Musettes und für mich Inbegriff der französischen Sprache.

Denn gerade im Valse A Mille Temps findet man das typische rasche, flache Dahineilen der Stimme und das harte, metallische Stakkato der Silben, die sich in atemberaubendem Tempo aneinanderreihen:

“Une valse à quatre temps,

c’est beaucoup moins dansant,

c’est beaucoup moins dansant

mais aussi plus charmant

qu’une valse à trois temps,

une valse à quatre temps.

 

Une valse à vingt temps,

c’est beaucoup plus trop longue...”


Das liest sich nicht gerade geistreich und auch nicht unbedingt aufregend, aber die geneigte Leserin oder der geneigte Leser versuche doch einmal, das Gelesene ohne Punkt, Komma oder sonstige Abstände und Zäsuren auszusprechen. Wer es schafft, ohne dass sich ihr oder ihm die Zunge spätestens in der vierten Zeile heillos verhakt und verknotet, kann sich rühmen, wirklich Französisch sprechen zu können!

Von der Geschwindigkeit, mit der Jacques Brel seine Silbensalven herunterrattert, muss ich heute noch um zwei Gänge herunterschalten, wenn ich halbwegs durchkommen will.

Noch schlimmer ist in dieser Hinsicht sein anderer Valse Musette, Vésoul. Er handelt von einem jungen Ehepaar, bei dem die Ehefrau von Rastlosigkeit getrieben von einem Ort zum anderen reist, es aber nirgendwo lange aushält und nie zufrieden ist:

 “T’as voulu voir, Vésoul, on a vu Vésoul.

T’as voulu voir Vierzon, on a vu Vierzon.

T’as voulu voir Honfleurs, on a vu Honfleurs,

T’as voulu voir Hambourg, on a vu Hambourg...”

Bei diesem Endlosband rattern die Silben und Worte noch schneller dahin, dass es einem im wahrsten Sinn des Wortes den Atem verschlägt.

Dem Ehemann auch, und schließlich reißt ihm der Geduldsfaden:
           
“Aber ich sag’s dir:

Ich werde nicht weiter gehen.

Und ich warne dich vor:

Ich gehe nicht nach Paris!

Vor allem anderen graut mir

vor all den Klängen

des Valse Musette und des Akkordeons....”

Zugleich scheinen Melodie und Rhythmus in Vésoul und La Valse A Mille Temps zu schäumen, ja förmlich zu bersten; beide Chansons sind ein atemberaubender Taumel der Sinne und der puren Lust am Leben.

Denselben Taumel und dieselbe Lebenslust verströmt Amsterdam, das bekannteste Chanson von Jacques Brel, an dem sich Generationen von Sängerinnen und Sängern versucht haben und der Wucht seiner Stimme und der Ausdruckskraft seines Vortrags dennoch nie ganz das Wasser reichen können.

Es handelt von Matrosen, deren Schiff im Hafen von Amsterdam anlegt und sie zum Landgang freilässt.

Nach monatelangem eintönigem Seetörn und harter, schwerer Arbeit endlich mal wieder an Land und in eine Kneipe gehen! Anstatt versalzenes Pökelfleisch und knochenhartes Kommissbrot wieder frisch gegrillter Fisch, der vor Fett trieft, und frisch gezapftes Bier vom Fass! Und erst die Frauen; endlich mal wieder weibliche Wesen nach monatelanger Ödnis und Not! Und so stürzen sich die Matrosen ins Futtern und Bechern, ins Tanzen und Singen, hinein ins pralle Leben...

Und Jacques Brel singt Amsterdam mit einer Intensität, die ihm buchstäblich aus jeder Pore strömt. Eine Intensität, die einen packt und mitreißt, während sie einen in ihren intensivsten Momenten im gleichen Atemzug erschreckt, ja geradezu erschlägt. Er gehört zu denen, die alles, was sie in ihrem Leben tun, mit vollem Einsatz und zu hundert Prozent tun, die auf der Bühne wie im realen Leben alles geben und fordern. Bei ihm genügen wenige Minuten, um zu wissen und zu spüren: Da oben spielt und scherzt einer nicht; er meint und lebt das, was er von sich gibt.

Es ist ihm ein Herzensanliegen, und er fordert von seinem Publikum, dass es innehält und dem, was er zu sagen und zu singen hat, genau zuhört.

Und er selbst ist in jede Gestalt gekrochen, die er porträtierte, und hat ihre Identität angenommen, so dass manche seiner Chansons Ein-Mann-Theaterstücke en miniature waren.