Wie Mensch und Tod einander begegnen
Über den Himmel und über Gott hat sich Jacques Brel mokiert und Bigotterie und Frömmelei scharf aufs Korn genommen; er hatte zu beidem durchweg eigenwillige Ansichten.
Und doch hat ihn schon in seinen jungen Jahren, lange bevor er von seiner Krebserkrankung erfuhr und ihr mit neunundvierzig Jahren erlag, der Gedanke an den Tod immer wieder beschäftigt; oder eher die Frage, wie man ihm als Mensch am besten begegnet.
Viele berühmte Künstler, die jung gestorben sind, hat der Tod jäh und plötzlich aus dem Leben gerissen, so schnell, dass sie nicht damit gerechnet haben, wie Buddy Holly oder Aaliyah, die mit dem Flugzeug abgestürzt sind; oder sie wurden erschossen wie Sam Cooke, Marvin Gaye oder John Lennon.
Andere aber scheinen früh zu ahnen, dass ihr Leben kurz sein wird; und zu ihnen hat wohl auch Jacques Brel gehört. Nach seinen Aussagen in den Chansons Le Moribond und Vieillir ist der Tod zwar ernst zu nehmen, aber nicht zu fürchten; eine saubere, anständige Angelegenheit, der man als Mensch mit Stil und Haltung zu begegnen hat.
Schlimmer und furchtbarer als der Tod ist für Jacques Brel ein Altern, das mit schleichendem, unaufhaltsamem Verfall einhergeht, das dem Menschen die Freude am Leben raubt und ihn von der Welt und den Menschen verlassen zurücklässt, so wie er es in Les Vieux schildert.
Dann wird das Schnurren des Pendels der Uhr im Salon zur ewigen, in seiner Einförmigkeit und Gleichgültigkeit unerbittlichen Mahnung: “Ich warte auf dich!”
In Mon Dernier Repas hat sich Jacques Brel seinen Abschied vom Leben als ein Fest vorgestellt:
Von seinem Fenster aus hat er eine Ebene und eine Hügelkuppe im Blick, die sich im Wind wiegt und tanzt. Um sich herum versammelt er seine Brüder und Cousins, seine Freunde und Geliebten und seine Tiere. Es wird noch einmal vorzüglich gegessen und getrunken, Fasan aus dem Périgord und Muskatellerwein.
Nach dem Festmahl verabschiedet er seine Gefährten, will, dass sie ihn allein lassen. Dann, während er ein letztes Mal Angst hat, schwebt sein Geist über die Ebene zur Hügelkuppe hinüber, die im Wind wogt und tanzt...
In Le Moribond klärt er mit seinem Freund, seinem Beichtvater, seinem Nebenbuhler und seiner Frau die letzten Angelegenheiten, die es nach seinem Ableben zwischen ihnen zu regeln gibt. Bei der Beerdigung will er, dass alles lacht und tanzt und sich wie verrückt amüsiert, während er in die Grube fährt...
Seine letzten Lebensjahre und sein Abschied von dieser Welt verliefen doch ein wenig anders.
In den letzten Jahren gab er seine Gesangskarriere auf und auch die Filme, die er drehte, hatte vom Trubel und Zirkus des Konzert- und Tourneelebens und vom hektischen, gereizten Leben in Paris und anderen Großstädten dieser Welt die Nase voll. Mit einer kleinen Segelyacht, seiner Tochter und seiner letzten Lebensgefährtin reiste er quer über den Atlantik und durchquerte den Panama-Kanal, wo seine Tochter im wahrsten Sinne des Wortes ausstieg.
Jacques Brel segelte mit seiner Lebensgefährtin weiter und ließ sich mit ihr auf Hiva Oa nieder, einer Insel im Pazifik, die zum Archipel der Marquesas gehört. Hier zog er mit ihr in ein schlichtes weißgetünchtes Haus mit Blick auf Strand und Meer. Selten hatten die beiden Gäste, doch sobald sich gute Freunde und Bekannte auf seine Insel verirrten, wartete ein Galadiner auf sie, mit allem, was dazu gehört.
Daneben kümmerte er sich um die Eingeborenen, ließ auf Hiva Oa das erste Kino bauen und einrichten, gab hin und wieder mit seiner Gitarre kleine Privatkonzerte für sie und sorgte mit seinem kleinen einmotorigen Flugzeug persönlich dafür, dass die Bewohner der Insel mit dem versorgt waren, was sie zum Leben brauchten, und dass ihre Verbindung zur Welt und zur Zivilisation erhalten blieb.
Und das genügte Jacques Brel und seiner Lebensgefährtin; sie waren auf Hiva Oa glücklich. Ruhm, Ansehen, Hektik und Trubel brauchten, suchten und wollten sie nicht; was sie wollten und hatten, war ihr Leben als Insulaner unter Insulanern.
Doch dann verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, so dass er nach Paris zurück musste, um sich behandeln zu lassen.
Als er nach Orly zurückkehrte, hielt er sich sich in einer Toilette auf dem Flughafen versteckt, während seine Lebensgefährtin sich bemühte, die zudringliche Meute der Paparazzi, die ihm auflauerten, von ihm fernzuhalten und zu verscheuchen. Nach zwei Stunden hatten sie endlich genug und ließen von ihm ab. Doch in dieser Zeitspanne zog er sich auf der kalten, zugigen Toilette eine Lungenentzündung zu, die sein geschwächter Körper nicht mehr abzuwehren vermochte, so dass er schließlich an den Folgen seines Krebsleidens starb.
Gemäß seinem letzten Wunsch brachte man ihn zurück nach Hiva Oa, wo er neben dem Maler Paul Gauguin bestattet wurde. Bis heute kann man beide Gräber und ein kleines Jacques Brel-Museum besichtigen, das sein Leben auf der Insel in den Mittelpunkt rückt.
Und wer weiß? Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass seine Seele bis heute über Hiva Oa schwebt, frei und im Frieden mit sich, dem Himmel und der See...